Kahlschlag wegen Borkenkäferbefall?

Kahlschlag in Niederbayern Foto: Kronschnabl
Kahlschlag in Niederbayern Foto: Kronschnabl

Zur Zeit werden allerorts  heftige Hiebe und Kahlschläge mit der Begründung "Borkenkäferbefall" durchgeführt. Ist das wirklich immer das Mittel der Wahl? Wir haben den Holzkäferexperten  Dr. Georg Möller aus dem Saarland um eine  Stellungnahme gebeten. Hier die Antwort, die uns Waldschützer im Hinblick auf die angeblich vorbildliche "Gute fachliche Praxis"  in den Forsten mehr als nachdenklich macht:

 

Fichten, die schon braun sind bzw. an deren Stämmen die Borke schon abblättert, braucht man zur "Ausbreitungsprophylaxe" nicht mehr zu entnehmen,  weil dann die meisten Borkenkäfer schon ausgeflogen sind. Die Besiedlung durch den gefürchteten Buchdrucker erfolgt an noch grünen, aber schon abwehrgeschwächten Fichten. Man müsste schon sehr sorgfältig bzw. mit sehr hohem Aufwand hinterher sein, um die besiedelten Bäume schon in der Initialphase zu erkennen und zu ernten - eher illusorisch.

 

Außerdem hätte die Fichten-Altersklassenwirtschaft (Monokulturen, auch Kiefer) nie so lange funktioniert, wenn nicht Zehntausende kleiner, aber unscheinbarer Helferlein in Gestalt räuberischer bzw. parasitischer Antagonisten (Schlupf- und Erzwespen, räuberische Käfer, Fliegenlarven; auch für Borkenkäfer pathgogen wirkende Pilze, Bakterien, Viren) den Borkenkäferbestand nicht mehr oder weniger erfolgreich in Schach gehalten hätten ("Outbreaks" werden meist durch Trockenstress, Imissionsschäden, falsche Standortwahl und falsche Baumherkünfte verursacht; es gibt aber natürliche Borkenkäferwellen, die sich in eine sich über Jahrhunderte hinziehende, mehr oder weniger zyklische Naturwalddynamik mit Feuer und Baumartenwechseln einfügen; z.B. in den Rocky-Mountains).

Zwei bis drei Jahre "befallene", verbraunte Fichten verlieren die Eignung als Brutplätze der Borkenkäfer, weil diese auf frische Assimilate (unter dem Begriff Assimilate versteht man bei Pflanzen die im Zuge der Photosynthese entstandenen Produkte, also Zucker, Proteine u.a.) angewiesen sind. Dann schlägt die Stunde der Holzpilze und der Sekundärbesiedler, z.B. vieler Bock- und Prachtkäfer, Bewohner vermorschter Borkenstrukturen, etc.).

Stehend abgestorbene Fichten mit abstehenden Borkenstrukturen werden sogar von der hoch relevanten Mopsfledermaus regelmäßig als Quartier genutzt (Spaltenstrukturen). Da die Mopsfledermaus ihr Quartier regelmäßig wechselt, wäre es nur gut, wenn wenigstens die in den Mischwald eingesprengten Fichten bzw. Fichtengruppen im Falle des Absterbens stehen gelassen würden.

Fichtentotholz bzw. Totholz von Nadelbäumen (in der Pfalz besonders die Waldkiefer; ausdrücklich auch von Neophyten wie z.B. der Douglasie und der Weymuthskiefer) allgemein hat spezielle biochemische und strukturelle Eigenschaften und leistet daher einen eigenen, wichtigen Beitrag zum Artenspektrum holzbewohnender Pilze und Insekten sowie für die Moosflora.

 

Ein Fallbeispiel: Im Krokenwald bei Steinbach/Ottweiler wurde 2017 eine größere Zahl Borkenkäferfichten gefällt und gerückt (in der Brutzeit). Hierbei wurden viele Fichten entnommen, deren Borke schon zu einem großen Teil gelockert/ abgefallen war bzw. wo die Borkenkäfer schon weitgehend ausgeflogen waren. Beim Ablösen noch vorhandener, stark mit Bohrmehl angereicherter Borke ergab sich als Neufund für das Saarland der Stutzkäfer - Platysoma elongatum. Die bis 4 mm langen Käfer und ihre Larven leben räuberisch in den Gängen verschiedener Borkenkäfer an Nadelbäumen wie Fichten und Kiefern. Der Nachweis belegt die hohe Bedeutung absterbender und abgestorbener Nadelbäume für die Biodiversität.

 

Die Fichte ist seit über 200 Jahren bei uns als „Brotbaum“ der Forstwirtschaft etabliert. Weil die Fichte in vielen Mittelgebirgen Deutschlands heimisch war und ist, beherbergt ihr Totholz auch in Rheinland-Pfalz und im Saarland eine Fülle von Insektenarten, darunter besonders geschützte Arten. Der Holzpilzbestand an Fichte ist im Vergleich zum biochemisch andersartigen Laubholz ebenfalls sehr speziell und artenreich. Da etwa die Hälfte aller Holzkäferarten direkt oder indirekt von den Pilzfruchtkörpern und Myzelgeflechten im Holz abhängig sind (Nahrung – Proteine sowie biochemische Grundstoffe, die die Insekten nicht selbst herstellen können), erklärt sich teilweise auch der Artenreichtum an Käfern.

 

Die Borkenkäferarten, die an der Fichte zu Massenvermehrungen fähig sind (Buchdrucker Ips typographus und Kupferstecher Pityogenes chalcographus), besiedeln höchstens ausnahmsweise andere Nadelgehölze! Und wie man am allgemeinen Kalamitätsverlauf sieht, nützt die Entnahme der Borkenkäferbäume auch wenig zur Eindämmung der Gradationen.

 

Das beste Hilfsmittel gegen Fichtenborkenkäfer sind gemischte Wälder mit einem möglichst hohen Anteil standortheimischer Gehölzarten.

 

Für weitere Informationen zu verschiedenen Holzkäferarten und hervorragendem Bildmaterial:

wertvoller-wald.de/fileadmin/Wertvoller_Wald/PDF-Downloads/Zwischenbericht_Holzkaefer_2016.pdf

 

Ein Film zu fragwürdiger Waldbewirtschaftung, die im Klimawandel schlimme Folgen hat:

www.br.de/mediathek/video/kaefer-klima-kapitalismus-notstand-in-bayerns-waeldern-av:5c9d39edb2c260001ad7521f