Das Forstmärchen von der Nachhaltigkeit

von Franz-Josef Adrian

 

 

Hans Carl von Carlowitz 1645-1714
Hans Carl von Carlowitz 1645-1714

 

von Franz-Josef Adrian

 

Es gibt wohl kaum ein Märchen, das bei Förstern beliebter ist: das Märchen von der Nachhaltigkeit: „Wir Förster arbeiten nachhaltig!“

 

Auf die skeptische Nachfrage, was das denn bedeute, erzählen viele Förster dann gerne: „Wir ernten nur so viel Holz, wie auch wieder nachwächst.“ Und wenn sie dann so richtig in Fabulierlaune sind, schmücken sie das Märchen aus: „Wir Förster sind Experten für nachhaltiges Wirtschaften. Denn es war die Forstwirtschaft, die das nachhaltige Wirtschaften erfunden hat!“ Was ist dran am Förstermärchen von der Nachhaltigkeit? Was stimmt, was stimmt nicht?

 

Am Anfang der kritischen Diskussion über den Begriff der Nachhaltigkeit ist es ganz wichtig darauf hinzuweisen, dass es zwei unterschiedliche Definitionen der Nachhaltigkeit im Bereich der Forstwirtschaft gibt:[1]

  1. Es gibt eine enge forstwirtschaftliche Definition der Nachhaltigkeit: „Wir nutzen nur so viel, wie auch wieder nachwächst!“
  2. Und es gibt eine weite Definition der Nachhaltigkeit, die den Natur- und Artenschutz im Wald berücksichtigt: „Wir sorgen dafür, dass die Waldarten dauerhaft im Wald leben können".

 

Kritik an der engen forstwirtschaftlichen Definition der Nachhaltigkeit

 

Die berühmteste Definition der Nachhaltigkeit stammt von Hans Carl von Carlowitz (1645 - 1714)  [2] - siehe oben. In seinem Buch „Sylvicultura oeconomica – Anweisung zur wilden Baumzucht“ schreibt er 1713:

 

„Wird derhalben die größte Kunst, Wissenschaft, Fleiß, und Einrichtung hiesiger Lande darinnen beruhen, wie eine sothane Conservation und Anbau des Holzes anzustellen, daß es eine continuirliche beständige und nachhaltende Nutzung gebe, weiln es eine unentbehrliche Sache ist, ohnewelche das Land in seinem Esse nicht bleiben mag.“

 

Ebenso einflussreich und etwas verständlicher für den heutigen Leser war die Definition von Georg Ludwig Hartig (1764 - 1837), einem „der bedeutendsten deutschen Forstwissenschaftler“[3] .

 

Georg Ludwig Hartig (1764 - 1837)
Georg Ludwig Hartig (1764 - 1837)

1791 schrieb Georg Ludwig Hartig[4]:

„Unter allen Bemühungen des Forstwirts ist wohl keine wichtiger und verdienstlicher, als die Nachzucht des Holzes oder die Erziehung junger Wälder, weil dadurch die jährliche Holzabgabe wieder ersetzt, und dem Wald eine ewige Dauer verschafft werden muss.“

 

Das Buch trägt bezeichnenderweise den Titel „Anweisung zur Holzzucht für Förster“. Es geht bei der engen Definition von Nachhaltigkeit tatsächlich nur um das „Holz“, das „gezüchtet“ wird. Es geht es um die reine Holzmasse.

Beispiel: Forstbetrieb A besitzt 1.000 ha Wald. Der jährliche Zuwachs beträgt 10 Festmeter[5] pro ha. Insgesamt wachsen pro Jahr also 10.000 Festmeter nach. Forstbetrieb A erntet 10.000 Festmeter pro Jahr. Der Forstbetrieb nutzt alles, was nachwächst. Er verwendet die enge Definition der Nachhaltigkeit.

 

 

Plädoyer für eine weite Definition der Nachhaltigkeit mit Natur- und Artenschutz

 

Ulrich Mergner, Leiter des Forstbetriebs Ebrach im Steigerwald, trifft den Nagel auf den Kopf, wenn er die enge Definition der Nachhaltigkeit kritisiert und sagt:

 

„Wer nutzt, was nachwächst, lässt für die Artenvielfalt nichts übrig. Zumindest nicht für die Waldarten, die auf Holz als Lebensraum und Nahrung angewiesen sind.“[6]

 

Wenn Förster darauf achten, dass Waldarten wie Spechte, Pilze, Fledermäuse oder holzbewohnende Käfer im Wald dauerhaft leben können, verwerten sie nicht alles gefällte Holz, sondern lassen einen Teil der Holzernte als Totholz liegen. So sorgen sie dafür, dass dauerhaft 20 – 40 m3 Totholz pro ha vorhanden sind. Und sie lassen nicht nur das dünne Abfallholz der Kronen liegen, sondern auch dickes Stammholz, das sie durchaus mit Gewinn verkaufen könnten. Denn viele Holzkäfer und Pilze benötigen die Temperatur und die Feuchtigkeit, wie sie gerade in dickem Totholz vorherrschen. Wie etwa der Goldfell-Schüpplings (Pholiota aurivella) am dickem Stamm einer Buche.

Beispiel: Forstbetrieb B hat ebenfalls 1.000 ha Wald, in dem 10 Festmeter pro Jahr und ha zuwachsen. Forstbetrieb B fällt auch 10.000 Festmeter Holz. Er lässt aber 1.000 Festmeter davon als Totholz im Wald liegen. Der Forstbetrieb nutzt also nicht alles, was nachwächst. Er verwendet die weite Definition der Nachhaltigkeit mit Arten- und Naturschutz.

 

Förster, denen der Schutz der Waldarten am Herzen liegt, markieren auch 10 Biotopbäume pro ha, die bei der Holzernte nicht genutzt werden. Die Biotopbäume bieten mit ihren Höhlen, Rissen, Spalten und abgestorbenen Ästen wertvolle Lebensräume für Waldarten. So schützen Förster nachhaltig die Artenvielfalt im Wald. Wenn sie ganz vorbildlich die Arten schützen wollen, markieren sie auch noch10 Biotopbaumanwärter, die in der Zukunft Biotopbäume sein werden. Denn auch Biotopbäume sterben ab und fallen um und müssen ersetzt werden. Indem sie auch Biotopbaumanwärter auszeichnen, achten Förster darauf, dass immer genügend geeignete Lebensräume für die Waldarten vorhanden sind.

Die planmäßige Förderung von Biotopbäumen und Biotopbaumanwärtern stellt einen Nutzungsverzicht dar. Denn sie nehmen Platz weg, an dem Bäume wachsen könnten, die gewinnbringend verkauft werden könnten. Auch Förster, die Biotopbäume stehen lassen, nutzen also nicht alles, was nachwächst. Aber nur so funktioniert Nachhaltigkeit beim Natur- und Artenschutz!

 



[1] Es gibt noch mehr Definitionen, so z. B. die der Helsinki-Resolution (1993). Aber über alle Definitionen zu diskutieren, sprengt den Rahmen dieses Aufsatzes. Außerdem wurden viele Definitionen vermutlich erfunden, um vom wirklich Wichtigen abzulenken und Kritiker der Forstwirtschaft mit Nebensächlichkeiten zu beschäftigen.

[2] Maler unbekannt. (Public domain), via Wikimedia Commons

[3] Wikipedia – Georg Ludwig Hartig

[4] Unbekannter Maler (Public domain), via Wikimedia Commons

[5] Ein Festmeter entspricht einem Kubikmeter Holz ohne Zwischenräume.

[6] Das Trittsteinkonzept, Rauhenebrach 2018, S. 108