Wissenschaftler im Streit um Leipziger Auwald: „Wir empfehlen, der aktuellen Forstplanung nicht zuzustimmen.“

Heute fällt die Entscheidung im Leipziger Auwald!

 

Veröffentlichung der umfangreichen Stellungnahme  von Prof. Dr. Bernd Gerken und Johannes Hansmann: farbliche Markierungen durch die BBIWS!

 

Guten Tag verehrte Stadträtinnen und Stadträte, Kolleginnen und Kollegen,

 

wir senden Ihnen zur aktuellen Diskussion um die weitere Pflege und Nutzung des Auwaldes Leipzig zwei Beiträge.

 

Wir empfehlen, der aktuellen Forstplanung nicht zuzustimmen.

 

Mit freundlichen Grüßen,

 

Prof. Dr. Bernd Gerken und Johannes Hansmann.

 

 

 

Beitrag 1:

Zur öffentlichen Diskussion um den Leipziger Auwald

 

Bezugnehmend auf:

 

 

   Die Bemerkungen zur Femelwirtschaft von Prof. Dr. Pierre Ibisch und Dipl. Forst-Ing. Karl-Friedrich Weber vom 04.12.19

 

   Die schriftliche Stellungnahme des Dipl.-Biologen Stefan Michel zur Begründung des Forstwirtschaftsplans durch den umweltpolitischen Sprecher Michael Neuhaus vom 04.12.19

 

   Den Artikel „Streit um Baumfällungen im Leipziger Auwald geht weiter“ am 05.12.19 in der LVZ

 

 

 

Sehr geehrte Stadträte und Stadträtinnen der Stadt Leipzig,

 

in Anbetracht der öffentlichen Diskussion bitten wir Sie darum, den Forstwirtschaftsplan 2019 abzulehnen.

 

Warum?

 

Es bestehen grundsätzliche fachliche Differenzen bei Wissenschaftlern und Naturschützern über die Bedeutung und einen möglichen Zusammenhang von Artenschutz und Forstwirtschaft.

 

Die kurze Formel der Leipziger Professoren Wirth et al. im e-mail vom 9.12./10h simplifiziert die Problematik (Zitate kursiv):

 

 

"Im Leipziger Auwald braucht es eine Kombination von Prozessschutz (Nutzungsaufgabe) und Artenschutz."

 

Prozessschutz betreibt die Stadt auf zu kleinen und für Artenschutz im Auwald derzeit weitgehend ungeeigneten Flächen. Über bald 2 Jahrzehnte wurde versäumt, artenschutzrelevante Prozessschutzflächen auszuweisen. 

 

"Der Fokus sollte aber auf dem Artenschutz liegen."

 

Artenschutz ist nicht unmittelbar mit Forstwirtschaft verknüpfbar, denn die im Leipziger Schutzgebietssystem zu schützenden Arten entstanden in Jahrhunderttausenden bis Millionen Jahre währender Evolution, während die Forstwirtschaft gerade mal 300 Jahre mit dem vorrangigen, sektoralen Ziel einer holzwirtschaftlichen Nutzung von Baumbeständen angetreten ist. Weil Forstwirtschaft primär wirtschaftlich agiert hat sie tatsächlich für das Verschwinden von so genannten Urwaldarten deutschlandweit beigetragen. Seit 20 bis 30 Jahren bemüht sich die Forstwirtschaft, durch Sonderkonstruktionen, etwa "Totholzinseln", Bannwälder etc.,  den Lebensgemeinschaften natürlich-naturnaher Wälder wieder Überlebenschancen einzuräumen.

 

"Dieser (=Artenschutz) benötigt eine behutsame und ökologisch orientierte Forst­wirtschaft ..."

 

Auf diesen künstlich hergestellten Zusammenhang hat sich seit Jahren eine kleine Gruppe Leipziger Forstleute und Wissenschaftler verständigt, doch trifft er nicht die Erfahrung im Umgang mit seltenen und bedrohten Arten.

 

"... mit ihren Instrumenten wie Femelwirtschaft, Mittel­wald­wirt­schaft und Totholz­mana­ge­ment."

 

Femelwirtschaft ist wie der Name sagt, rein wirtschaftlich intendiertÜber die Größe von Femeln bestehen unterschiedliche Auffassungen. Im Auwald wurden bis dato genug und für natürliche Eichenverjüngung ausnahmslos zu große Femel geschaffen, deren Eignung als Artenschutzinstrument erst zu belegen ist. Bisher gibt es dazu keine überzeugenden Belege, vielmehr können wir eine Reihe nachteiliger Entwicklungen aufzeigen.

Mittelwald war zu keiner Zeit ein Instrument der Ökologie oder des Artenschutzes. Er ist bis heute weithin 100%ig wirtschaftlich intendiert, und für den Leipziger Auwald war er an Fläche stets unbedeutend. Die laut FFH- und Naturschutzrecht zu schützenden Arten siedelten dort bereits VON NATUR, bevor eine Forstwirtschaft begonnen wurde und ihr Vorkommen zeigt keinen Bezug zu den wenigen ehemaligen Mittelwaldflächen! Mittelwald wurde im Auwald Leipzig wenige Jahrzehnte später bereits in Hochwald umgewandelt. Er hatte insofern auch keine Zeit, sich als Artenschutzmaßnahme zu erweisen.

 

Totholzmanagement erfordert keine forstlichen Eingriffe. Es entsteht von selbst, v.a. durch nicht kontrollierbaren Sturmwurf. Dass Bäume bewusst getötet (geringelt) werden, um mehr Totholz zu erzeugen ist rausgeworfenes Geld. Auch auf den als Mittelwald bezeichneten Flächen sterben Altbäume (es sollten Mittelwaldtypische Lassreitel werden - ein Versuch, der von vornherein zum Scheitern verurteilt ist), weil sie mit dem durch forstliche Fällungen veränderten Waldinnenklima nicht fertig werden.

 

"Besonders wichtig ist die Re-Dynamisierung der Leipziger Aue, die von der Stadt Leipzig und dem Land Sachsen zügig voran­getrieben werden muss." 

 

Die Forderung hat bereits Prof. Müller vorgetragen und sie fand u.a. prioritäre Maßnahmen Eingang in den Managementplan. Die Gruppe um Prof. Wirth konnte offenbar keine wirksame Revitalisierungsmaßnahme in Gang bringen. Wer anders als die Stadt sollte dieses letztlich betreiben - Wissenschaftler können nur anregen! Dass die Re-Dynamisierung besonders wichtig sei, ist als Forderung löblich, doch kommt sie um 15 bis 20 Jahre zu spät. Statt dessen wird viel Kraft in das Vorhaben Lebendige Luppe investiert, das jedoch mit geregelter Überflutung auf vielleicht 5ha keinen nennenswerten Beitrag zur Wiederbelebung nicht einmal der Nordwestaue leisten kann.

 

In Anbetracht der nationalen und europaweiten Bedeutung des Leipziger Auensystems sollten diese Differenzen beigelegt werden, ehe mit Säge und Freischneider weiterhin in den Schutzgebietsflächen gewirtschaftet wird. Nachweislich sind in den vergangenen Jahren bereits Schäden am Bestand der geschützten Fauna eingetreten.

 

In einem fachlichen Diskurs darf es nicht um Recht-haben oder die Bewahrung einmal abgesprochener Standpunkte gehen. Hier steht europa-relevantes Naturschutzgut zur Disposition. Eine solche Diskussion erfordert daher ein beträchtliches Verantwortungsbewusstsein, in der jede Stimme zu hören und unabhängig von lokalen Interessen abzuwägen ist. Diese Differenzen sollte ordentlich in einem der fachlich schwierigen Sache angemessenen Diskurs und ohne zeitliche Anspannung geklärt werden. Auch wenn einige Wissenschaftler der festen Überzeugung sind, mit den geplanten forstwirtschaftlichen Methoden würde man das Beste für einen deutschlandweit, vielleicht weltweit einzigartigen Auenwald tun, bedeutet dies nicht, dass dem so ist. Nicht nur wir, Prof. Dr. Bernd Gerken und Johannes Hansmann, haben sehr starke, fachliche Bedenken. Auch andere Wissenschaftler und Naturschützer sehen den Forstwirtschaftsplan äußerst kritisch. Wir könnten es nicht mit unserem Gewissen vereinbaren, wenn wir Sie nun nicht nochmals bäten, diesen Plan abzulehnen.

 

Im Artikel „Streit um Baumfällungen im Leipziger Auwald geht weiter“ am 05.12.19 wird der Eindruck erweckt, es hätten sich nur Prof. Dr. Pierre Ibisch und Dipl. Forst. Ing. Karl-Friedrich Weber zu Wort gemeldet, und da diese Fachkollegen als Externe keinen tieferen Einblick in die Standortbedingungen hätten, wäre ihre Kritik nicht zutreffend. Aber auch Herr Michel als langjähriger Kenner des Leipziger Auwaldes (seit den 1990er Jahren!) kritisiert diese Pläne. Dass Prof. Dr. Bernd Gerken, der den Leipziger Auwald ebenfalls schon einige Jahre mehrfach jährlich intensiv besucht, die forstwirtschaftlichen Maßnahmen in eben diesem Auwald kritisch sieht, wie sie in dieser Weise stattfanden und stattfinden sollen, wurde schon mehrfach dargelegt. Sie finden hierzu Vorträge und Filme, und es bestand und besteht Gelegenheit auf Exkursionen im Auwald die Position kennen zu lernen.

 

Auch Johannes Hansmann als langjähriger ehrenamtlicher Naturschützer kann nicht empfehlen, diesen Forstwirtschaftsplan so zu bestätigen, wie er für die kommende Saison vorgelegt wurde. Erhebungen zu bedrohten Arten im vergangenen Sommer zeigen, dass die Datenlage zu streng geschützten FFH-Arten leider mangelhaft ist. Hansmann konnte zeigen, dass frühere Erhebungen entweder nicht mehr aktuell oder unvollständig sind, doch so benutzt bzw. dargestellt werden, als wäre die Artendokumentation ausreichend. So gibt es neu entdeckte Lebens- und Reproduktionsstätten bspw. des Eremiten auch in den Bereichen, in denen man intensiv im Rahmen sogenannter Sanitärmaßnahmen eingreifen will. Herr Hansmann war nur entlang offizieller Wege und Straßen unterwegs, er hat im Naturschutzgebiet nicht die Wege verlassen, da er aber schon allein dort, in dem deshalb sehr schmalen Gebietsausschnitt, mehrere neue Reproduktionsstätten gefunden hat, ist zu vermuten, dass auch abseits der Wege noch viele unbekannte sogenannte Brutbäume existieren. Auch die Datenlage zur Verbreitung der Mopsfledermaus, speziell betreffs der Lage der Quartierverbünde der Wochenstubengemeinschaften, ist unzureichend. Daher kann Schaden an Brutbäumen, Quartierverbünden von Wochenstubengemeinschaften und damit auch der Tod dieser streng geschützten Arten nicht ausgeschlossen werden.

 

Der Schutz darf sich aber derzeit keineswegs  nur auf aktive Habitatbäume beschränken, es müssen auch Habitatbaum-Anwärter bereits vorausschauend erhalten bleiben!

Es besteht aufgrund der mangelnden Datenlage die Gefahr, dass wichtige Habitatbaum-Anwärter für diese FFH-Arten in direkter Nähe der aktuell besiedelten Brutbäume und Quartierverbünden der Wochenstubengemeinschaften für die Zukunft in zu geringer Zahl zu Verfügung stehen. Das bedeutet eine zukünftige Entwertung des FFH-Gebietes für diese FFH-Arten. Die so genannten "FFH-Arten" sind als Schirmarten definiert, die stellvertretend für schwerer erkennbare oder auffindbare Arten kartiert werden, d.h. "Schirmarten" stehen für eine spezifische Artengemeinschaft: Für Schirmarten nicht ausreichend vorzusorgen zieht auch eine Entwertung des Lebensraums und der Erhaltungschancen für die spezifische Artengemeinschaft mit weiteren, auch für den Auwald gebietstypische Arten, nach sich.

 

Wir fassen diesen Text für Sie kurz zusammen. Bitte stimmen Sie dem FWP nicht zu, da

 

1.   es zahlreiche begründete fachliche Bedenken gibt

 

2.   es sich bei den geplanten forstlichen Maßnahmen um intensive Maßnahmen handelt

 

3.   sich dringend die Zeit genommen werden sollte, um den fachlichen Diskurs in der notwendigen Intensität konstruktiv weiter zu führen bevorman solch intensiven Maßnahmen durchführt

 

4.   wir Zeit brauchen, um die Datenlage betreffs der Lebens- und Reproduktionsstätten zu verbessern, bevor darüber entschieden werden kann, ob und in welchem Umfang forstliche Maßnahmen wo durchgeführt werden können, um allen Schutzzielen des Auensystem Leipziger Auwald zu genügen. 

 

5.   es auch andere Möglichkeiten gibt, die Baumart Stieleiche im FFH-Gebiet, so man es wollte, zu fördern, als dafür weitere so genannte Femellöcher oder Mittelwaldflächen zu schlagen und Baumschulpflanzungen zu begründen. Vielmehr wird dringend empfohlen, weniger invasiven Möglichkeiten zu prüfen und 

 

6.   vorrangig auch bei forstlichen Maßnahmen den seit Jahrzehnten gestörten Wasserhaushalt des Auengebiets zu berücksichtigen!

 

 

Mit Punkt 6. weisen wir ausdrücklich daraufhin, dass die für den Erhalt und die Regeneration des seit 1930 nur noch potenziellen, d.h. seither in Umstellung befindlichen, Auwald erforderliche Primärmaßnahme die Revitalisierung des Auenstandorts ist. Mit forstlichen Maßnahmen allein kann kein Auenwald wieder hergestellt werden. Ein Auenwald kann nur regeneriert werden und erst dann als solcher ggfs. weiter bewirtschaftet resp. gepflegt werden, wenn die Standortbedingungen soweit als möglich wieder hergestellt werden konnten. Wir sind davon überzeugt, dass dies mindestens für weite Teile der Nordwestaue und sogar für weitere Gebiete südlich des Gewässerknotens möglich ist - doch seit Jahren sind dafür erforderliche Untersuchungen überfällig. Laut Selbst-Beschreibung des Projekts Lebendige Luppe kann dieses das erforderliche Umfassende nicht leisten.

 

 

 

Zum o.g. Artikel in der LVZ.

 

Dieser Artikel vom 24.11.2019 schenkt den zahlreichen Kritikpunkten am FWP keinerlei Beachtung. Stattdessen lesen wir nur von angeblichen Ungereimtheiten und angeblich falschen Zahlen, aber worin konkret diese bestehen und ob sie wirklich falsch sind, darüber schweigt sich der Artikel aus. Unseres Wissens sind die von uns genannten Zahlen richtig, folgen aus den uns bekannt gewordenen Aufstellungen des Forstamts etc. Eine Beteiligung an der Forschung durch Prof. Dr. Pierre Ibisch, Dipl. Forst. Ing. Karl-Friedrich Weber, Herrn Michel und auch uns macht nur Sinn, bevorderart invasiv in den Auwald eingegriffen wird. Wenn im Auwald jedoch nur ansatzweise die Hiebsmengen in dem Umfang entnommen werden, wie es laut FWP geplant, können bereits beträchtliche Schäden verursacht worden sein. 

 

Es ist sehr bedauerlich und durchaus befremdlich, dass anscheinend weder von Prof. Wirth noch von der Stadt auf die berechtigte Kritik zahlreicher Fachleute aus Leipzig und außerhalb Leipzigs eingegangen wird. Auch ist es schade und zudem unverständlich, dass man sich auf dem FSC-Siegel ausruht. Dieses ist bekanntlich weltweit umstritten, weil sogar noch echte Urwälder in anderen Ländern gerodet und als FSC-Holz verkauft werden konnten und offenbar auch absehbar verkauft werden werden. 

 

Wir empfinden es als außerordentlich befremdlich, dass in diesem Artikel offiziell Unwahrheiten über den Verein NuKLA e.V. verbreitet werden, die andernorts bereits als Fake-Meldung entlarvt wurden. Dies kann im Internet beim Verein mimikama nachgelesen werden. Mimikama bezeichnet sich als Verein zur Aufklärung über Internetmissbrauch, und diese Quelle sollte ernst genommen werden. Man kann sich freilich bei gutem Willen auch direkt in Leipzig selbst über den Fake-Charakter der Darstellungen über NuKLA kundig machen. Wir können bestätigen, dass keine Jugendlichen angestellt wurden. Sie wurden auch nicht für die Teilnahme an einer Demo bezahlt. Es wurde unseres Wissens nach Teilnehmern an einem Kunstprojekt, welches auch zeitlich vor der eigentlichen Demonstration stattfand, lediglich eine Aufwandsentschädigung gewährt. So ist es übereinstimmend in der Gegendarstellung des Vereins NuKLA e.V. ebenso nachzulesen wie in der Fake-Meldung des Vereins zur Aufklärung über Internetmissbrauch - mimikama.

 

Es ist nicht nachvollziehbar, warum im genannten Artikel nicht auf unsere und fachliche Kritikpunkte externer Kollegen eingegangen wird, und warum man statt dessen Unwahrheiten verbreitet.

 

Es bedarf dringend weiterer fachlicher Diskussion, dazu braucht es Zeit für Besinnung, Überblick und Einblick, die allen zu gewähren ist, die über die Maßnahmen der kommenden Jahre entscheiden bzw. diese fachlich im Rahmen einer FFH-angemessenen Gebietsbehandlung begleiten werden. 

 

Bis diese fachliche Diskussion mindestens erkennbar aussichtsreich aufgenommen wurde, bezeichnen wir den FWP als fachlich indiskutabel und abzulehnen.

 

Wir stehen Ihnen Dienstag bis Freitag nächster Woche gern für Rückfragen zur Verfügung - und ebenso auf Anfrage in den kommenden Monaten.

 

Mit freundlichen Grüßen,

 

hochachtungsvoll

 

Prof. Dr. Bernd Gerken und Johannes Hansmann

 

 

 

Beitrag 2:

 

 

Kurzstellungnahme zum Positionspapier  

 

"Reiner Prozessschutz gefährdet Artenvielfalt im Leipziger Auwald" 

 

von Bernd Gerken und Johannes Hansmann  -  10. Dezember 2019

 

Wir nehmen des Positionspapier "Reiner Prozessschutz gefährdet Artenvielfalt im Leipziger Auwald" mit einem gewissen Erstaunen zur Kenntnis.

Unser Erstaunen rührt daher, dass uns nicht bekannt ist, wer "reinen Prozessschutz"  fordert. Wir empfehlen keinen flächendeckenden Prozessschutz. Wir empfehlen jedoch eine Erweiterung der Prozessschutzflächen und eine Ergänzung vor allem um solche, die den derzeitigen Charakter des Auwaldes als überwiegendem Hochwald abbilden. Damit dort sinnvolle Untersuchungen der Sukzession unter verschiedenen Bedingungen erfolgen können, braucht es dazu jeweils mindestens 100 ha. Ansonsten haben wir es nur mit Flächen zu tun, die durch Randeffekte anthropogener Abgrenzung geprägt werden. 

 

Wir empfehlen zudem eine Reihe forstlicher Maßnahmen befristet zu unterlassen, wie Femelung und Altbaumentnahme bei allen auentypischen Baumarten, bis Unklarheiten in einem breiten Fachkonsens ausgeräumt werden konnten. 

 

Es besteht kein Zugzwang! Wer in der Dimension Wald und Forst denkt, lernt, dass die Qualität z.B. der Verjüngung über den waldbaulichen Erfolg und den wirtschaftlichen Ertrag ebenso entscheidet, wie über die Eignung als Ort konsequenten Artenschutzes.

 

Wir fragen deshalb, ob dieses Positionspapier in Eile entstand, und was es bewirken will? Es zeigt deutlich, dass hinsichtlich der Waldgeschichte des Auwaldes und bezgl. der Möglichkeiten forstlicher Nutzung oderProzessschutz bei den Autoren Unklarheiten bestehen. Diese Unklarheiten müssten dringend geklärt werden, ehe die bisherige forstliche Nutzung und vermeintlicher Artenschutz mit der Motorsäge fortgesetzt werden dürfen. 

Eine fachliche Diskussion zu den im Positionspapier aufgeworfenen Fragen sollte dringend ergebnisoffen begonnen werden. Dazu zählen weitere, im Positionspapier nicht erwähnte, die jedoch für Geschichte, Bestand und Entwicklung des Leipziger Auensystems relevant sind.

 

Diese Unklarheiten im Text und unsere Beobachtungen bei den bereits erfolgten forstliche Maßnahmen (2004 bis heute) im Auwald, legen die Dringlichkeit einer veränderten forstlichen Tätigkeit nahe. Wir greifen hier nur folgende Einzelheiten heraus, und bauen auf eine ausführliche fachliche Diskussion, die es einzuleiten gilt.

 

> In einer Aue gehört an erster Stelle der Wasserhaushalt als prioritäre "Pflegemaßnahme" benannt. Forstliche Maßnahmen können allenfalls darauf aufbauen, können aber selbstverständlich keinen Auenwald schaffen, wenn die Standortbedingungen nicht gegeben sind. In einer Aue ist die Dynamik des Wassergangs der Schlüssel zur Artenvielfalt.  Die Eiche trägt ihren Teil dazu bei, profitiert von der Dynamik, und fördert dann natürlich auch den Artenreichtum. Wir haben es jedoch schon mehrfach geschrieben: Die auentypische Artenvielfalt entsteht erst durch die Dynamik des Wassergangs, dem eine klein- bis großräumige Substratverlagerung und die Schaffung auentypischer Strukturen möglich ist. In welchem Umfang das bis 1930 geschah, zeigen u.a. Berichte des sächsischen Heimatbundes und viele andere zeitgenössische Publikationen der damaligen Zeit, und die heute jederzeit mögliche Inaugenscheinnahme der subfossilen Gerinnestrukturen des Luppe-, Weiße-Elster- und Pleisse-Systems. 

 

Zur Fülle der auffälligen und für Auenökosysteme typischen Arten zählen Insekten, Fische, Amphibien usw. usf., zu deren Gunsten die flächig ablaufenden Hochwasser für verschiedenerlei Gewässer sorgen UND IM Wald durch kleinräumige Substratbewegungen dazu führen, dass häufig anstelle reiner pflanzensoziologisch fassbarer Waldtypen raum-zeitlich veränderliche Durchdringungskomplexe verschiedener Ausbildungen von Waldgesellschaften entstehen. 

 

Im Vergleich zu Eichen-Hainbuchenwäldern finden im Auenwald mit typisch erhöhter raum-zeitlich schwankender Randliniendichte solche Arten einen Lebensraum, die z. B. in einem schlichten Stieleichen-Hainbuchen-Feldulmenbestand ohne Wasserdynamik nicht auftreten können. Bodenlebende Tiere zeigen diese kleinräumigen Unterschiede sehr gut auf und reagieren schnell! Schon wenige Jahre nach dem Ausbleiben der Hochfluten können z.B. charakteristische Laufkäfer-Gemeinschaften nicht mehr gefunden werden. Wie bei den Pflanzengesellschaften verschwimmen auch bei diesen Tiergemeinschaften die Durchdringungskomplexe wieder zu dem einheitlicheren Bild, das Hochflut-freie Wälder zeigen. Es gibt historische Berichte, bspw. müsste dieses bei Lippold (1890) zu lesen sein, dass man selbst bis an die Nonnenmühle, wo heute das Bundesverwaltungsgericht steht, nachts das als "steinerweichend" beschriebene Quaken der Frösche gehört hat. Einst gab es hier Arten, die nun schon ausgestorben sind. In den Gundorfer Lachen schwammen Anfang des 20. Jahrhunderts Europäische Sumpfschildkröten, und Leipzig hatte eine der größten Rotbauchunkenpopulationen von ganz Deutschland.

 

> Emil Adolf Roßmäßler (1806-1867) ist in Leipzig geboren und gestorben. Er ist nicht ohne Grund hier "Vater der deutschen Aquaristik" geworden. Es gab zahllose Fachgruppen zur Feldherpetologie, und bis zum Zweiten Weltkrieg stand am Ranstädter Steinweg das Naundörfchen, das traditionelle Fischerdorf vor Leipzig, später Stadtteil von Leipzig. Eines der charakteristischsten Speisen in Leipzig war das Leipziger Allerlei, zubereitet mit Flusskrebsen, welche man hier so zahlreich aus den Gewässern fischen konnte, das dieses Gericht als Armenspeise verspottet wurde. Wir können entsprechende Literatur als Beleg heraussuchen, oder Sie können dies mit wenigen Klicks bei Wikipedia und sonstigen Nachschlagewerken im Internet selbst nachlesen.

 

Diese Flussdynamik gilt es so gut wieder herzustellen, wie es geht - erst dann kann man mutmaßen, wie sich die Baumartenzusammensetzung unter Prozessschutz entwickeln würde. Und erst dann kann man entscheiden, ob Prozessschutz nun so furchtbar wäre oder nicht, oder welche forstlichen Maßnahmen ergriffen werden sollte, um das Schutzgebietssystem Leipziger Auwald zu entwickeln, wie es der MAP vorsieht.

 

> Jedes Waldökosystem ist einzigartig, Auenwälder jedoch gehören zu den bedrohtesten Lebensgemeinschaften und sind zweifellos Ökosysteme, die originär vom Fluss oder gar mehreren Flüssen, geprägt sind. Dies macht ihre Besonderheit aus.

 

> Als solche erkennbare Hude-Eichen werden als Mittelwaldeichen bezeichnet. Wir fanden keine Quelle, die eindeutig belegt, dass es in der Leipziger Aue eine Jahrhunderte-währende Mittelwaldwirtschaft gab, wie wir sie teilweise noch heute am Oberrhein oder im Burgund (Region Dijon u.a.) in Frankreich finden. Vielmehr deutet vieles darauf hin, das der Auwald aus einer kleinbäuerlichen Wald-Weide-Nutzung unter hydrologischen Auenbedingungen entstanden ist. Dies ist bei Lange (1959) und anderen historischen Quellen nachlesbar. Natürlich gab es forstliche Eingriffe und mehrfach das schriftliche Bekunden in Ratsprotokollen, eine Mittelwaldwirtschaft einzuführen (u.a. ab 1617, vereitelt durch den 30-jähr.Krieg). Neben den Kriegswirren mag es schlicht zu nass gewesen sein. Zudem fanden wir Belege, worin man sich beschwerte, dass man hier keine Forstwirtschaft betreiben könne. Diese Beschwerden reichen bis weit in das 19. Jahrhundert hinein. Deswegen hat man zwar eingegriffen, aber eine Mittelwaldwirtschaft, wie sie der Forst heute begreift, hat unseres Wissens im Auwald nie lange Fuß gefasst. Im 19.Jahrhundert wurde dies einige Jahrzehnte versucht. In früheren Jahrhunderten hat man nachweislich die Stieleiche gefördert, indem man die natürliche Verjüngung (ausdrücklich so benannt) geschützt hat und durch Eichel-legen forciert hat. Diese auch für Leipzig traditionelle Methode sollte wieder aufgegriffen werden.

 

> Mit Sicherheit hat man in vergangenen Jahrhunderten Eichen gefördert, aber mit anderen Methoden als heute. Man musste gar nicht auf die Idee kommen, große Lochhiebe herzustellen, denn es gab keine Hochwälder recht einheitlichen Altersaufbaus, sondern genug natürliche oder von Menschen erzeugte Klein-Lichtungen und zudem Hecken, aus denen Eichen häufig mit sehr guten Stammformen keimen und aufwachsen konnten. So konnten an natürlichen (oder von "ungeordneter" Holznutzung durch Menschen entstandenen) Waldlücken Eicheln gelegt werden. Zudem war in früheren Jahrhunderten flächendeckend Waldweide, Viehtrift und Gräserei üblich. Dieses ist ebenfalls bei Lange (u.a.) nachzulesen. Grundbesitzende Herren beschwerten sich über Waldweide, was laut Radkau deutschlandweit damals der Mode entsprach: es gab infolgedessen ab dem 17. Jahrhundert bis ins 19. hinein eine Abkehr von den bäuerlichen "unordentlichen" Waldnutzungen hin zu dem, was wir heutzutage "ordnungsgemäße Forstwirtschaft" nennen. Diese wurde gezielt gegen die bäuerlichen "Übergriffe" politisch entwickelt. Die derzeit noch auffindbaren, ältesten Eichen - wir erinnern an die Eiche an der Batschkemündung sowie eine "Blitzschlageiche" im Rosental - sind fast 300 - 500 Jahre alt! Diese Bäume stammen aus der Zeit der "unordentlichen" bäuerlichen Waldnutzungen, über die man schriftlich Belege finden kann, und wäre es auch nur, weil sich ein Forstmann des 19. Jahrhunderts lauthals darüber beschwerte. Waldweide konnte zwanglos aus dem ursprünglichen, natürlichen Auftreten von Wildrindern (Auerochse und Wisent), Wildpferden und Wildschweinen abgeleitet werden. Ab dem 15. Jhdt. wurden die wildlebenden Großsäuger zunehmend durch Kulturformen (Kuh etc.) ersetzt. Mehr noch als die Kulturrinder hatten die wildlebenden Arten einen beträchtlichen Einfluss auf die Gehölzvegetation. Am umstrittenen Wisent-Projekt im Rothaargebirge kann dies aktuell erlebt werden. Und es hat seinen Grund, warum Altbäume, z.B. im Wisentgatter des NP Kellerwald oder des Sababurg-Wildparks, gegen "Schälschaden" geschützt werden. Auch deshalb werden frei laufende Wisente in deutschen Nationalparks nicht geduldet - es bliebe von den Rotbuchenwäldern, die wir als in ihrer natürlichen Struktur verstanden und mit forstlichen Maßnahmen verträglich kennen lernten, ein sehr neuer Aspekt übrig, der sich mit den Vorstellungen vom geschlossenen Urwald mit Waldinnenklima und geringer Biodiversität deutlich abhöbe.

 

> Für das Verständnis des Auwaldes müssen wir erkennen, dass die Waldlebensgemeinschaften, die im Positionspapier zum Prozessschutz als Mittelwald bezeichnet werden, unter einer starken, für das Weiße Elster-Pleisse-Luppe-System bis 1930 noch gegebenen Auendynamik aufgewachsen sind, und dabei vor allem von kleinbäuerlicher Waldnutzung bis hin zur Waldweide beeinflusst wurden. Auch wenn im 19. Jhdt. stark eingegriffen wurde, um einen Mittelwald schulbuchmäßig aufzubauen, wurde dieser nie vollendet (Umbau auf Hochwald). Was wir heute Nieder- und Mittelwald nennen, mag es v.a. in den dorfnahen und stadtnahen Bereichen gegeben haben (wegen kurzer Transportwege), jedoch sind diese Bereiche schon längst von Stadtteilen wie dem Waldstraßen- und dem Musikviertel überbaut worden. Ein Teil dieser Areale kann teilweise noch auf den Meßtischblättern Sachsens um 1800 gefunden werden.

 

Im Fazit notieren wir, dass die Verfasser des Positionspapiers wichtige historische Bezüge und Bedingungen übersehen. Kritischer noch ist die gewählte Reihenfolge der Argumentation: Erst müssen die standorttypischen Bedingungen wieder hergestellt werden, dann kann man überlegen, ob und was man ggfs. wie und wo an forstlichen Pflegemaßnahmen tun sollte. Diese Pflegemaßnahmen sollten bis zur Bewährung aus artenschutzrechtlicher Sicht resp. der Widerbelebung von typischen Lebensgemeinschaften im Auen-Ökosystem zunächst nur auf wenigen Probeflächen umgesetzt und auf der Grundlage einer Untersuchung vor der Maßnahme anschließend eingehend über viele Jahre floristisch-vegetationskundlich und faunistisch-ökologisch untersucht werden.

 

Wir erlauben uns eine Vermutung:  wenn es eine regionaltypische Dynamik des Wassergangs der am Leipziger Auensystem beteiligten Flüsse wieder geben darf, könnte bezüglich Artenschutz nichts oder nur wenig noch zu tun sein - ?

 

Wenn sich dieses System wieder auf Auenbedingungen einstellen konnte - wozu die Altbäume mit 150 bis 250 Jahren und mehr die besten Voraussetzungen mitbringen (ihr Wurzelsystem passt bezüglich der auentypischen Grundwasserschwankungen, weil sie unter solchen gekeimt sind!) - und auch natürliche Sturm- und Schneewurf-Dynamik wirken können, wird es um die Verjüngung der Stieleiche kein Problem mehr geben: Eicheln legen und Jungeichen im Kleingatter pflegen braucht keine Befahrung durch schwere Maschinen.

Daraufhin kann auch eine behutsame Nutzung in Form einzelstammweiser oder Kleingruppen-Entnahme erfolgen, denn es dürfte dann zur Selbstverständlichkeit geworden sein, dass vor jedem Eingriff sowohl das Potenzial als auch das reale Vorkommen etwa des Eremiten bekannt ist (dessen Habitatbäume dann grundsätzlich nicht "entnommen" werden - und für deren Nachwuchs ebenfalls gesorgt wird!).

 

Die bisherige forstliche Nutzung mit zu großen Femeln in Form von Kleinkahlschlägen, dem Versuch aus Hochwald durch Belassen weniger Altbäume auf Kleinkahlschlag Mittelwald zu erzeugen, die Ausführung sogenannter Sanitärhiebe oder die künstliche Schaffung von Totholz können keineswegs als behutsamer Umgang mit Naturschutzgütern bezeichnet werden.