Buchenwald-Drama im Sauerland: Zerstörerischer „Waldumbau“ der dritten Art

Von Norbert Panek

Die Fichte stirbt in Deutschland großflächig. Im Hochsauerland, eine der fichtenreichsten und

damit auch „waldumbau-würdigsten“ Regionen Deutschlands hat eine merkwürdige Praxis Platz

gegriffen. Die wenigen, noch vorhandenen Buchenbestände werden eliminiert und in Fichten-

Plantagen umgewandelt, Weihnachtsbaum-Kulturen verdrängen zunehmend das, was früher dort

mal „Wald“ oder landwirtschaftliche Fläche war. Über die einst liebliche Mittelgebirgslandschaft

scheint, begünstigt durch die zunehmende Kahlstellung vertrockneter Nadelholz-Plantagen, eine

forsthistorisch neue Transformationswelle zu schwappen.

 

Aktuelles, perfides Beispiel: Die knapp 765 Meter hohe Bergkuppe des „Hohen Knochens“

zwischen Westfeld und Neuastenberg im tiefsten Sauerland. Noch vor gut 10 Jahren wuchs dort am

Südosthang ein zusammenhängender, rund 30 Hektar großer und etwa 100 Jahre alter Buchenwald.

Satellitenbilder offenbaren: Der Bestand ist durch gezielte, schachbrettartig angelegte Kahlschläge

in Auflösung begriffen (siehe Abbildungen 1 - 5).

 

Kahlschläge ab zwei Hektar sind nach dem Landesforstgesetz von Nordrhein-Westfalen nicht

zulässig. Die Kahlflächen wurden geschickterweise jedoch so angelegt, dass sie jeweils unter zwei

Hektar umfassen und sich damit einer Einzel-Genehmigung entziehen. Insgesamt wurden auf diese

Weise bereits rund 20 Hektar, also etwa zwei Drittel der alten Buchenbestandsfläche in Etappen

innerhalb weniger Jahre vorsätzlich vernichtet, davon der überwiegende Teil wieder aufgeforstet,

hauptsächlich (man glaubt es kaum) mit Fichten!

 

Der Eingriff geschieht direkt vor der „Haustür“ einer Hotelanlage, die auf ihrer Internetseite exklusiv mit dem Slogan „Tauche ein in das bewundernswerte Ökosystem des Waldes!“ wirbt. Gäste werden auf einem Rundweg zum „Waldbaden“ animiert.

 

 

„Waldumbau“ der besonderen Art – Beispiel „Hoher Knochen“ (Hochsauerland)

 

Bildfolge: Die etappenweise Vernichtung eines Buchenwaldes ... mitten in Deutschland. Bildquellen: Google Earth

Rote Flächen = aktuell kahlgeschlagene Bestände bis 2020!

 

Kahlgeschlagener, ehemaliger Buchenbestand am „Hohen Knochen“ - der Fichten-Acker ist bestellt.

 

Der Eingriff mag hier zunächst als ein dramatischer Einzelfall erscheinen, ist aber im Grunde

symptomatisch für den gesamten immer noch gängigen Dreiklang der deutschen Forstplantagen-

Philosophie: kahlschlagen – räumen – aufforsten.

 

Der der Agrarwirtschaft entlehnte Nutzungsrhythmus hat sich seit 300 Jahren kaum geändert. Die klassische Forstwirtschaft ist in ihrer Ideologie erstarrt, hat sich von der Natur nahezu komplett abgewendet. Der „Wald“ wird reduziert auf eine Ansammlung von nutzbaren Bäumen, neuerdings im Zeichen des Klimawandels von sogenannten „klimatoleranten“ Baumarten. Und alles soll jetzt „gemischt“ sein, egal, ob standortgerecht oder nicht – ein künstlich angelegtes Forst-Sammelsurium ausgewählter Exoten.

 

Oder man greift doch noch mal, wie am „Hohen Knochen“, auf „Altbewährtes“ zurück – die Fichte,

 der erklärte Brotbaum der deutschen Forst- und Holzindustrie, wohlwissend, dass diese Art die

 Klimaerhitzung auf Standorten außerhalb ihres natürlichen Areals in Mitteleuropa in den nächsten

 20 Jahren nicht überleben wird. Die Pflanzungen im Hochsauerland sind Sinnbild für eine

 Forstwirtschaft, die sich vom Prinzip der Nachhaltigkeit und ihrer selbst verordneten

 „Ordungsmäßigkeit“ längst verabschiedet hat.

 

Dass Buchenwälder immer noch – mitten in Deutschland – aktiv vernichtet und zu Fichten-Äckern

 degradiert werden können, stellt letztlich auch eine Bankrotterklärung der gültigen Forst- und

 Naturschutzgesetzgebung bzw. jener Stellen dar, die diese rechtlichen Vorgaben umzusetzen haben.

 Die Gesetze sanktionieren das Prinzip der Kahlschlagwirtschaft nicht; sie legalisieren es sogar.

 

Vor allem private Waldbesitzer nutzen dieses Defizit offensichtlich schamlos aus. Hinzu kommen die

 zahlreichen, im Zeichen des Klimawandels stillschweigend „legitimierten“ Kahlschläge, sprich:

 Räumungen, auf Forstflächen, die durch Windwürfe und Borkenkäferbefall geschädigt wurden.

 Unter dem Vorwand der Schädlingsbekämpfung werden den Flächen riesige Mengen an

 Holzbiomasse entzogen – mit Folgewirkungen ökologischer Art, die noch kaum abzusehen sind.

 

Buchenbestand – frisch eingeschlagen (August 2020)

 

Geräumte Fläche mit Schlagabraum – Buchenrestbestand im Hintergrund

 

Sinnbild für die Zerstörung eines intakten Buchenwaldes und einer gescheiterten Forstwirtschaft.

 

Was können oder besser: was dürfen wir von einer Forstwirtschaft klimastrategisch noch erwarten,

die unsere angestammte Waldnatur derart mit Füßen tritt, ihre natürlichen Wasser- und

Kohlenstoffspeicher dermaßen dezimiert und intakte Lebensräume willkürlich zerstört? Wir erleben

derzeit nur blinden, orientierungslosen Aktionismus. Der Wald wird „repariert“: Mit erhöhtem

Pestizideinsatz, großflächig mit Erntemaschinen, Aufforstungen, Schnellwuchsplantagen. Nur nicht

„Natur“ zulassen! Die Ressource „Wald“ verabschiedet sich zugunsten der Ressource „Holz“.

 

Es geht, wie schon Jahrzehnte lang vorher, nur um kurzsichtige Interessenwahrung, nicht tatsächlich

um ein seriöses Reflektieren des eigenen forstlichen Fehlverhaltens. So droht nur die Verlängerung

des unheilvollen Werks einer auf Nadelholz fixierten Katastrophen-Forstwirtschaft, die ökonomisch

und ökologisch gescheitert ist – ein Systemversagen größten Ausmaßes!

 

Stellt sich abschließend die Frage nach den politischen Verantwortlichkeiten für diese desaströse

Entwicklung. Jahrzehnte lang hat ein auf Partikularinteressen ausgerichteter, bis in politische Ämter

hineinregierender Lobbyismus die „Marschrichtung“ in der deutschen Forstpolitik vorgegeben und

jeden nur ökologisch angehauchten Ansatz im Keim erstickt. Die Waldzustände wurden klein- und

schöngeredet, die sich abzeichnenden Klimaveränderungen ignoriert.

 

Eine in ihren Grundfesten erstarrte Forstideologie hat die klar erkennbaren Mißstände zugedeckt und eine notwendige, rechtzeitige Neuausrichtung der Forstwirtschaft verhindert. Die wenigen, eher schwächlichen Stimmen des Verbandsnaturschutzes haben im Ton versagt. Die Bilanz ist ernüchternd. Die Hoffnung stirbt zuletzt.

 

Wider jegliche ökologische Vernunft frisch gepflanzt - und schon wieder vertrocknet: Fichten im Klimawandel. Die freigestellte Buche im Hintergrund hat überlebt.

 

Ausgewählte Literatur:

 

Panek, N. (2016): Deutschland, deine Buchenwälder. Daten-Fakten-Analysen, Ambaum Verlag, Vöhl-Basdorf.

Panek, N. (2017): Von naturnah weit entfernt. Deutschlands Buchenwälder – eine kritische Bestandsaufnahme, Der kritische Agrarbericht (Hrsg. AgrarBündnis e. V.): 223 – 226.

Panek, N. (2020): Rote Liste der Buchenwälder Deutschlands – Eine Auswertung der Daten des Alternativen

Waldzustandsberichts, Naturschutz und Landschaftsplanung 52 (5): 236 – 241.

Panek, N. (2020): Fichten-Land – Deutschland im Forst-Chaos, Selbstverlag (unveröffentlicht), Korbach.