Neue „Waldzustandserhebung“: Das falsche Spiel mit den Zahlen

Bild: N. Panek
Bild: N. Panek

 

Er kaschiert die wahren Urheber der Krise und überdeckt die Ohnmacht der Politik, endlich die ökologische Waldwende einzuleiten

 

von Norbert Panek

 

Die Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner hat in der letzten Februar-Woche 2021 den sogenannten Waldzustandsbericht veröffentlicht. Danach bestätigt sich eigentlich nur das, was sich schon in den Jahren zuvor deutlich abgezeichnet hat . Die Wälder in Deutschland sind massiv geschädigt. Der Kronenzustand, so Klöckner, sei ein „Fieberthermometer“, und es zeige an: unser Wald sei „krank“.

 

Obwohl eine Ursachenanalyse, allein abgeleitet aus der Bewertung von Baumkronenzuständen, zumindest fragwürdig erscheint, wurde schnell der „Übertäter“ gefunden, der Klimawandel, sprich: Stürme, Dürre, Brände und nicht zuletzt der Borkenkäfer. Dass die Kronenschäden auch etwas mit einer falschen Baumartenwahl und der Art der Bewirtschaftung zu tun haben könnten, wird erst gar nicht ins Kalkül gezogen bzw. sorgsam verschwiegen.

 

Stattdessen werden die Daten der Walderhebung ausgenutzt, um die Unterstützungsprogramme „zu feiern“ und sich selbstbeweihräuchernd als „WaldretterIn“ zu profilieren. Die Öffentlichkeit wird damit wieder bewusst „hinter die Fichte“ geführt. Vertuscht wird, dass der Zustand der deutschen Wälder eine tiefgreifende Forstwirtschaftskrise offenbart. Sie wird von den politischen Entscheidungsträgern auf Bund und Länderebene nicht nur ignoriert, sondern mit dem Festhalten an alten forstlichen „Betriebsmodellen“ ökologisch sogar weiter verschärft. Es geht darum, „effektiv, unkompliziert und schnell“ (Zitat Klöckner), weiter „Schäden zu räumen, neue resiliente und standortangepasste Bäume zu pflanzen, die Wälder weiter umzubauen und besser an den Klimawandel anzupassen.“

 

Übersetzt bedeutet das: Die nächsten instabilen, forstlichen Monokulturen sind vorprogrammiert!

Eine genauere, weniger „dramatisierende“ Betrachtung der vom BMEL veröffentlichten Daten zum

Waldzustand zeigt, dass bei 93 Prozent aller Baumarten die Kronenverlichtungen unter 50 % liegen.

Bei den Fichten sind es 89 Prozent, bei den Buchen 91 Prozent.

 

Der bedenkliche Gesundheitszustand, den die „Krankenpflegerin“ Julia Klöckner dem deutschen Wald unterstellt, ist letztlich eine natürliche Reaktion auf den Trockenstress der letzten Jahre. Die Buche (Fagus sylvatica) reagiert auf ausgeprägtere Trockenperioden fast immer mit vorzeitigem Blattfall, wie auch die Erhebungsdaten schon aus den zurückliegenden Jahren 2004, 2009, 2011 und 2016 zeigen, als die „deutlichen Kronenverlichtungen“, wie 2020, bei jeweils über 50 Prozent lagen. Danach hatten sich die Bestände wieder erholt.

 

Wie einschlägige Studien zeigen, reagieren Buchen nach Trockenzeiten mit einem um ca. 50 Prozent reduzierten Stammzuwachs und mit einer verstärkten Fruchtbildung im Folgejahr (Eichhorn et al. 2008). Anscheinend ändert der Baum seine Überlebensstrategie „durch baumindividuelle Stabilität hin zur verstärkten Bucheckern Mast für die Arterhaltung“, was als Indiz für eine aktive Anpassung an sich ändernde Umweltbedingungen gedeutet werden kann. Ein Anhaltspunkt für die insgesamt hohe Stresstoleranz der Buche liefert die geringe „annuelle Mortalitätsrate“. Sie lag laut der zurückliegenden Waldzustandserhebungen für Hessen, Niedersachsen und Sachsen Anhalt auch nach dem Extremtrockenjahr 2003 im Mittel bei 0,1 (bis 0,3) Prozent, 2020 weiter bei deutlich unter einem Prozent (siehe Tabelle).

 

Im Gegensatz dazu lag der Anteil komplett entnadelter, abgestorbener Fichten im Erhebungsjahr 2020

schon bei sechs Prozent, wenn man die „fast“ abgestorbenen Bäume noch dazuzählt, sogar bei 12 %

(!) Tendenz steigend (!), ein Beleg für den fortschreitenden Totalausfall dieser Baumart. Der

„Brotbaum“, der noch vor kurzer Zeit als „unentbehrlich“ galt, entpuppt sich als forstökologischer

Fehlgriff.

 

Neuere Studien in Buchen-Eichen Naturwäldern der westlichen Karpaten belegen die enorme

Bedeutung des Mikroklimas im Waldesinneren (Hohnwald et al. 2020). Danach verlieren Buchen

sukzessive ihr typisches, dichtes Blätterdach, sobald das „Waldinnenklima“ bestimmte Werte über-

oder unterschreitet. Sobald die Lufttemperaturen über 30 Grad Celsius steigen und die

Luftfeuchtigkeit unter 55 Prozent sinkt, droht den Bäumen permanente „Austrocknungsgefahr“;

zudem wird die Verdunstung der Bodenfeuchtigkeit beschleunigt.

 

Tabelle: Flächenanteile (Prozent) der Kronenverlichtungen nach Verlichtungsstufen,
Datenquelle: Ergebnisse der Waldzustandserhebung 2020 (BMEL), auf der Basis von 10.076 Probebäumen.

Baumart

 Anteil            ohne   Verlichtung

 Anteil

"Warnstufe"

 

  Anteil

 26-50 %

 verlichtet

 Anteil

 51-89 %

 verlichtet

 Ab 90 %

 verlichtet/

 fast abgestorben

 Abgestorben

 (100 % verlichtet)

 

Fichte

 

    21,5     34,5     33,3     4,5     6,3     5,8

Rotbuche

   10,6     34     46     8,1     1,3     0,7

 

Alle Bäume

   20,7     41,8     30,1     4,9     2,8     2,2

 

 

Es liegt also auf der Hand, dass die Stresstoleranzgrenze der Buche - sie ist eine ausgesprochene Schattenbaumart (!) - vor allem durch die Art der Bewirtschaftung erheblich herabgesetzt wird. Der landauf und landab übliche, kahlschlagähnliche Schirmschlagbetrieb setzt vor allem lichtgestellte Altbuchen erheblich und im zusätzlichen Maße unter Stress.

 

 

Bild: N. Panek
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Die schlichte Forderung wäre, augenblicklich und konsequent mit dieser Form der auch naturschutzfachlich fragwürdigen Bewirtschaftung aufzuhören. Es gilt, die Anpassungsfähigkeit vor allem der Laubbaumarten durch eine entsprechende „extensive“ Behandlung der Baumbestände zu stärken. In älteren, noch geschlossenen Buchenbeständen sollte die Motorsäge ruhen. Dass lediglich über „Wunderbaumarten“ und nicht über klimaangepasste Waldbewirtschaftungsformen nachgedacht

wird, ist symptomatisch für eine Politik, die letztlich nur die Interessen der Forst und Holzlobby im

Blick hat und mit ihrer altbackenen, konzeptionellen Ausrichtung längst gescheitert ist!

 

Literatur:

Eichhorn, J., Damman, I., Schönefelder, E., Albrecht, M., Beck, W. & Paar, U. (2008): Untersuchungen zur

Trockenheitstoleranz der Buche am Beispiel des witterungsextremen Jahres 2003, Beiträge aus der NW- FVA-Band 3: 109 134.

 

Hohnwald, S. et al. (2020): Microclimatic Tipping Points at the Beech-Oak-Ecotone in the Western Romanian Carpathians, Forests 11, 919; doi: 10.3390/f11090919.

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N. Panek Waldzustand 2020 eine Reaktion
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