Saarland: Biotopbaumfällungen in der Brutzeit im Stadtwald Saarbücken

 

Saarländische Waldschutzinitiativen und viele Bürger sind empört: Im Stadtwald Saarbrücken wurden  in genau der Zeit, in der dem Bürgern jeglicher Heckenschnitt aus gutem Grund untersagt ist, wertvolle Horst- und Spechtbäume gefällt - ein schwerwiegender Eingriff in die wenigen verbleibenden Lebensräume vieler Vögel. Von Insekten gar nicht erst zu reden.

 

Es ist und bleibt unverständlich, wie es in Zeiten von Wald- und Artensterben immer wieder zu derart massiven Eingriffen kommen kann. Einzig mögliche Erklärung: In den Forsten steht der Naturschutz hinten an. Stattdessen werden unter dem Druck der den Förstern vorgegebenen Einschlagmengen die immergleichen Argumente der "Verkehrssicherung" vorgebracht, die der mittlerweile waldgebildete Bürger schnell als "Alternative Fakten" entlarven kann. Erst recht, wenn Fachleute unterstützend das Wort ergreifen. Das Mantra in der Bewirtschaftung des Staats- und Kommunalwaldes sind wohl eher die ohne Not geschlossene Holzlieferverträge, die die jeweiligen Landes- oder Stadtforsten auch gar nicht nötig hätten, denn im Bürgerwald garantiert ja der Steuerzahler die Kosten der "Waldpflege".

 

 

Entsprechend hitzig wird die Diskussion geführt, denn anders als im Privatwald wären demnach Vorgaben im Staatswald zum Schutz der sogenannten Gemeinwohlfunktionen besonders gut zu erfüllen.  Dabei zählt aktuell ein oft bemühtes Argument für starke Holzeinschläge mit Sicherheit nicht mehr: die vorrangige nationale Versorgung "zum Schutz der Regenwälder". Ein Lacher, denn seit wir wissen, dass der hiesige Holzmarkt zugunsten von Exporten nach China und in die USA quasi leergefegt ist, steht wohl eher das Dollarzeichen auf den Lichtungen der Wälder.

 

Wir drucken hier in Auszügen die Stellungnahme des Diplom-Biologen Georg Möller ab, der sich die Situation vor Ort genau angeschaut hat. Sein vollständiges Schreiben ist im Download weiter unten nachlesbar.

 

 

"In der 17. Woche Ende April 2021 wurden im Stadtwald Saarbrücken, Bereich Stuhlsatzenhausweg, Fuchstälchen und Hermann-Neuberger Sportschule in der Brutzeit umfangreiche Baumfällungen durchgeführt. Gemäß der Nummerierung in blauer Farbe bzw. Anzeichnung in Rot umfasst die bis zum 30.04.2021 noch nicht vollständig umgesetzte Maßnahme um die 90 Bäume. Diese Bäume haben / hatten zum Teil einen sehr hohen Wert als Dauerniststätten besonders und streng geschützter Arten: Vögel, Fledermäuse und Holzkäfer.

 

Die Begründung des Stadtförsters Herrn Greif für den aus naturschutzfachlicher und ökologischer Sicht verheerenden Eingriff besteht im Grundsatz im Argument „Gefahr in Verzug“:

 

1. Verkehrssicherungspflicht: Akute Bruchgefahr

 

2. „Befall“ durch angeblich schädliche Holzkäfer und Holzpilze.

 

 

Zum Argument akute Bruchgefahr:

 

Weniger als 5 Stämme in Reichweite von Bebauung, ausgewiesenen Wanderwegen und Straßen hatten / haben im Fuß bzw. in statisch relevanten Stammbereichen Verpilzung bzw. Höhlenbildung mit zu niedriger Restwandstärke, die eine sofortige Fällung aus Verkehrssicherungsgründen erforderlich gemacht hätten bzw. erforderlich machen würden.

 

Aber auch „akute Gefahr“ setzt die Abwägungspflicht zwischen Artenschutz und Verkehrssicherungspflicht nicht außer Kraft. Besonders wenn es sich um augenfällig artenschutzrelevante Bäume zum Beispiel mit Großhöhlen handelt.

 

Der Großteil dieser Bäume stand / steht inmitten des Bestandes mit ausreichendem Abstand zu Wanderwegen, Straßen, Bebauung.

 

Bei der Mehrzahl der im Bereich von Straßen, Wegen und Bebauung gefällten bzw. zur Fällung vorgesehenen Bäume hätte zur akuten Herstellung der Verkehrssicherheit eine Entfernung von Totästen (im Kronenbereich) ausgereicht.

 

Inwieweit gefällte Bäume, besonders Eichen, durch Trockenstress mehr oder weniger abgestorben waren, war zum Zeitpunkt Ende April 2021 kaum feststellbar. Denn der Austrieb der Knospen beginnt gerade erst und ist von Baum zu Baum individuell verschieden.

 

Die von mir stichprobenartig untersuchten Knospen gefällter Eichen und Rotbuchen standen im Saft bzw. trieben frisches Blattwerk aus. Viele der gefällten Eichen und Buchen standen ohnehin abseits der verkehrssicherungspflichtigen Bereiche und hätten als stehendes oder zumindest liegendes Biotopholz erhalten werden können bzw. erhalten werden müssen (zum Beispiel als Brut- und Nahrungshabitat des Mittelspechtes Dendrocopos medius).

 

 

Zum Argument „Befall durch schädliche Käfer und Pilze“:

 

In keinem Fall konnte ich eine Besiedlung der gefällten bzw. zur Fällung vorgesehenen Bäume durch die „üblichen Verdächtigen“ wie Borkenkäfer und Werftkäfer feststellen.

 

Wahrscheinlich sind die eine oder andere austrocknende, schwächere Eiche vom Eichenwerftkäfer Lymexylon navale besiedelt (Flugzeit etwa Juli). Ein ursächlicher Zusammenhang mit dem Austrocknen bzw. Absterben der Eichen mit dieser Art besteht nicht: Die schwächelnden Bäume würden durch andauernden Trockenstress und wegen der durch Immissionsbelastung stark reduzierten Pilzsymbiose (Mykorrhiza) im Boden ohnehin absterben.

 

Borkenkäfer-Fraßbilder konnte ich bei den gefällten Bäumen auf den ersten Blick auch nicht feststellen. In den abtrocknenden Eichen sind als Elemente der waldtypischen Biodiversität sicher Arten wie der Eichen-Ambrosiakäfer Xyloterus signatus und der Eichenkernkäfer Platypus cylindrus vorhanden. Der Besatz ist in dem betroffenen Waldbestand jedoch unterschwellig und für Absterbe-Erscheinungen nicht ursächlich.

 

Fruchtkörper von Holzpilzen konnten nur sehr wenige gefunden werden. Am markantesten ist der Zunderschwamm Fomes fomentarius, der jedoch als typische Art alternder Bäume sowie durch Trockenstress und Immissionsbelastung stark vorgeschwächter Bäume für das Absterben nicht ursächlich ist.

 

Andererseits ist der Zunderschwamm eine ökosystemtypische Leitart naturnaher Rotbuchen-Mischwälder und die Grundlage für ein großes Segment der waldtypischen Artenvielfalt in Gestalt einer Vielzahl von Pilzkäfern, Pilzmücken und deren Verfolger in Gestalt von Vögeln und anderen Insekten.

 

Demgegenüber waren jedoch Fraßbilder von Larven besonders und streng geschützter Holzkäferarten wie dem Bunten Widderbock und dem Goldgruben-Eichenprachtkäfer Chrysobothis affinis (Larven in sonnenexponiertem, austrocknendem Eichen- und Buchenholz) anzutreffen.

 

Fazit:

 

Der durchgeführte bzw. noch laufende Einschlag sollte sofort gestoppt werden.

 

Das geschlagene Holz sollte als Biotopholz und zur Regulation des Wasser-, Temperatur- und Nährstoffhaushalts sowie als Grundlage für die Bildung des waldtypischen Dauerhumus und als Lebensgrundlage der waldtypischen Biodiversität vor Ort verbleiben.

 

Bezüglich der Verkehrssicherungspflicht ist an neuralgischen Punkten (wie Bebauung, Fahrstraßen, ausgewiesene Wanderwege bzw. Forststraßen) eine den Regeln der FLL (Forschungsgesellschaft Landschaftsentwicklung Landschaftsbau e. V., Bonn) entsprechende Planung zu erstellen

 

https://www.galk.de/startseite/fll-baumkontrollrichtlinien-2020

 

3. Ausgabe der FLL-Baumkontrollrichtlinien erschienen

 

…“Als Quintessenz gibt es weder einen absoluten Vorrang der Verkehrssicherungspflicht noch einen absoluten Vorrang des Artenschutzes“…

 

Es folgt  im Brief eine sehr lesenswerte Auswahl von Beispielen gefällter Bäume mit Erläuterung der Biotope für bedrohte Vogel- und Insektenarten!

Download
Holzeinschlag Brutzeit Verkehrssicherung
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 Gesetz über Naturschutz und Landschaftspflege (Bundesnaturschutzgesetz - BNatSchG)

§ 44 Vorschriften für besonders geschützte und bestimmte andere Tier- und Pflanzenarten:

 

(1) Es ist verboten,

 

1. wild lebenden Tieren der besonders geschützten Arten nachzustellen, sie zu fangen, zu verletzen oder zu töten oder ihre Entwicklungsformen aus der Natur zu entnehmen, zu beschädigen oder zu zerstören,

 

2. wild lebende Tiere der streng geschützten Arten und der europäischen Vogelarten während der Fortpflanzungs-, Aufzucht-, Mauser-, Überwinterungs- und Wanderungszeiten erheblich zu stören; eine erhebliche Störung liegt vor, wenn sich durch die Störung der Erhaltungszustand der lokalen Population einer Art verschlechtert,

 

3. Fortpflanzungs- oder Ruhestätten der wild lebenden Tiere der besonders geschützten Arten aus der Natur zu entnehmen, zu beschädigen oder zu zerstören,