Norbert Panek: FICHTEN-LAND - wie Deutschland seine Wälder verlor

 

Buchbesprechung zur Neuerscheinung

von Wilhelm Bode

 

Die Diskussion, ob man den extremer werdenden Hochwasserereignissen etwas entgegensetzen kann, ignoriert aktuell wieder einmal die Frage nach der natürlichen, aber offenkundig verlorenen Wasserkapazität unserer Kulturlandschaft. Aus forsthydrologischer Sicht stehen nämlich sowohl die Trocknisschäden der Jahre 2018-2020 wie die Zunahme von Hochwässern mit der Naturferne unserer Forstwirtschaft in unmittelbarem Zusammenhang.

 

Das Zauberwort dafür aus der Bodenkunde heißt: Feldkapazität. Sie bezeichnet das mittelgroße Porenvolumen eines biologisch intakten Bodens unter Pflug oder eben unter Wald.

Der Gesamtporenanteil eines biologisch intakten, humosen Waldoberbodens beträgt regelmäßig rund 50% seines Volumens, ist also gewaltig. Das Mittelporenvolumen ist das ökologisch wie biologisch bedeutendste, weil es das pflanzenverfügbare Wasser speichert und damit sowohl die Trockenheitsresistenz wie die Wasservorratskapazität des Oberbodens (~ Feldkapazität) bestimmt.

 

Dieses Volumen wird primär durch die biologische Aktivität des Oberbodens beeinflusst und ist damit direkt abhängig von der Naturnähe des aufstockenden Wirtschaftswaldes. Wird er befahren und verdichtet, ist er eine Monokultur mit einer Streu vorwiegend aus schwer zersetzbaren Nadeln von Kiefern, Fichten oder Lärchen, kommt das sogenannte Edaphon zum Erliegen. Es häufen sich über dem Mineralboden unzersetzte Rohhumuspolster an, die schlussendlich sogar die Infiltration der Niederschläge in den Oberboden verhindern und bei Starkregen zum oberflächlichen Ablauf führen. Der tote Boden wird so vom wassergesättigten Schwamm zum Verstärker der Sommertrockenheit wie andererseits von Hochwasserereignissen in den Tälern, so wie aktuell.

 

Diese einfachen biologischen Zusammenhänge gehörten bis in die 70er Jahre zum Grundkanon der forstwissenschaftlichen Lehre in jedem Forststudium. Das Fach hieß Forsthydrologie und wurde gestrichen, denn es widersprach der forstwissenschaftlichen Befürwortung dessen, was Norbert Panek in seinem Buch FICHTEN-LAND als selbst zu verantwortende Hypothek der nur angeblich „nachhaltigen“ Forstwirtschaft in Deutschland entlarvt. Die vermeintlichen Katastrophen vertrocknender Fichtenwälder wie die Schlammlawinen vieler Hochwässer sind ihr Menetekel und der Klimawandel bietet Land- und Forstwirtschaft nur eine wohlfeile Ausrede, die Hände dafür in Unschuld zu waschen. Denn natürlich fokussiert die öffentliche Meinung zunächst die Topographie der Schadgebiete, die künstlich verengten Flussläufe und die zunehmend extremeren Starkregen.

 

Insofern kommt Paneks Buch zur rechten Zeit. Er widmet sich darin der standortwidrigen Baumart Fichte, die wie keine andere vom Brot- zum Notbaum geworden und forsthydrologisch die ungünstigste Baumart schlechthin ist, die man zur Holzerzeugung einsetzen kann.

 

Sie selbst kann als Baumart gar nichts dafür, denn von Natur aus ist ihr extremes Flachwurzelwerk genetisch darauf vorbereitet, sich auf steinigen und flachgründigen Gebirgsstandorten festzukrallen und mit dem oberflächennahen Gebirgs-Hangwasserzug zu begnügen. Deswegen kommt es auch auf eine gute Zersetzbarkeit ihrer Nadeln gar nicht an, denn sie kann mineralische Böden nicht erschließen; sie benötigt es auf ihren natürlichen Standorten nicht. Diese Eigenarten, die sie einerseits zum stabilen Gebirgsbaum machen, kehren sich allerdings im Flach- und Hügelland um und machen sie dort zum Katastrophenbaum schlechthin. Und selbst der inzwischen in jeder Tagesschau alltägliche Star, der Borkenkäfer, konnte ihr auf ihren natürlichen, einst kühlen hochmontanen Standorten nichts anhaben, denn deren Vegetationszeit war zu kurz, um ihn zum Massenwechsel zu veranlassen.

 

Welche Folgen das hat und heute wie morgen die forstliche Hypothek im Klimawandel schlechthin repräsentiert, wird von Panek mit gewohnter Klarheit und zahlenmäßiger Beweiskraft entfaltet. Er heißt den Leser zunächst im Conifer-Club willkommen, um ihn anschließend im Fichten-Wahnsinn zu frustrieren.

Genauso beeindruckend wie seine prägnanten fotografischen Belege sind die grafischen Darstellungen, die die Veränderung unseres natürlichen Waldbildes bis zu ihrem bedauernswerten Endpunkt von heute nachzeichnen. Mich hat die Wiedergabe der Grafik der Fichtenverbreitung im Harz (aus Meister, Schütze und Sperber (1984): Die Lage des Waldes, GEO-Magazin 5: 25) besonders fasziniert. Zeigt sie doch, wie die Fichte dort, ihrem nördlichsten natürlichen (Rest-)Vorkommen in Deutschland, systematisch zur Verdrängung der natürlichen Buchenmischwälder genutzt wurde und ihn zu einem einzigen Monokulturgebirge gemacht hat – in nur 150 Jahren. Umsteuern konnte die Forstwirtschaft auch dort schon seit mindestens 40 Jahren. Sie ließ sich indessen Zeit und jammert heute über den Klimawandel, der sich seitdem bei der Fichte im Harz am deutlichsten zeigte.

 

Tourismus und Lokalpolitik sollten deswegen ohne Skrupel nach dem Schuldigen fragen. Deswegen ist auch das für Forstleute nicht als angenehm empfundene Kapitel Katastrophe mit Ansage dringend notwendig. Denn natürlich werden sich die in unserer Generation Verantwortlichen in Forstwirtschaft und Politik schon heute fragen lassen müssen, warum sie nicht rechtszeitig reagierten, obwohl die Anzeichen im Wald unübersehbar wurden. Ja, es geht dabei um die Schuldfrage, wenn sich Deutschland weitgehend entwaldet und sich die Lebensbedingungen aller deswegen drastisch verschlechtern.

 

Wo bleibt also die Forst“wissenschaft“, die zur wissenschaftlichen Unvoreingenommenheit, Objektivität, Überprüfbarkeit, Transparenz und Offenheit verpflichtet wäre? Wo bleibt also der wissenschaftliche Mahner, der sonst die Tagesthemen beherrscht?

 

Panek ist bekanntlich kein Forstmann, sondern Landschaftsplaner und engagierter Naturschützer. Er liefert als Kontrastperson einmal mehr ein Beispiel für die Einseitigkeit – oder gar Beschränktheit? - der deutschen Forstwissenschaft, der selbsternannten Erfinderin der Nachhaltigkeit. Können Sie sich andere Wissenschaftsbereiche vorstellen, die sich derart krisenverschärfend verrannt haben und nicht einmal einen einzigen ihrer namhafteren Vertreter hervorbringen, der sich von der eigenen Profession angesichts der nicht mehr zu kaschierenden Realität öffentlich distanziert? Es ist wie in einer Wüste, weit und breit kein forstwissenschaftlicher Lichtblick – überall nur Fata morgana des forstlichen Selbstbetrugs. Doch damit räumt Panek auf! Hoffentlich noch rechtzeitig ehe es heißt: FICHTEN-LAND ist abgebrannt!

 

Panek entlarvt die Lüge vom Waldumbau als das was sie ist, eine Scheinveranstaltung – nein, nicht mit Polemik, sondern mit nüchternen Zahlen, die die schnörkellose Wahrheit sprechen. Panek wird von der Forstwissenschaft auch deswegen totgeschwiegen, weil er als der versierteste Analytiker der deutschen Forststatistik gilt. Da macht ihm niemand mehr etwas vor. Er seziert die Zahlenfriedhöfe und sind sie noch so kunstvoll grün garniert und verwoben. Heraus, so auch im FICHTEN-LAND, kommt immer derselbe Tatbestand, nämlich eine lernunwillige Forstwirtschaft, die sich eine dienbare Forstwissenschaft hält und leistet, um sich mit wissenschaftlichem Touch bescheinigen zu lassen, nichts besser machen zu können. So entlarvt Panek im Kapitel Bäumchen wechsel dich den Versuch, mit neuen angeblich klimaharten Baumarten weiterzumachen wie bisher.

 

Was muss noch geschehen, bis sich die forstpolitischen Entscheider auf Landes- und Bundesebene, angeführt von der Winzerin Frau Julia Klöckner und dem Landwirt von der Marvitz (CDU Abgeordneter und Präsident der Waldbesitzerverbände), eines Besseren besinnen und endlich damit beginnen den Wald, gerne auch für die Forst- und Holzwirtschaft, mithilfe seiner Natur zu retten. Und nicht mehr mit der deutschen Variante der Plantagenwirtschaft in den Holzfabriken des Altersklassenwaldes, der der Bevölkerung seit der Schwelle zur Waldbauzeit und Geburtsstunde der Forstwissenschaft als Wald verkauft wird, was er nie war.

Deswegen ist dieses Buch eine wahre Pflichtlektüre für alle, die sich für den Wald verantwortlich fühlen oder gar über ihn mitbestimmen dürfen. Die Euro 20,- sind gut angelegte Lektürekost, fast ästhetisch zu schön fotografiert, fesselnd aber bedrückend zugleich. Offenbart sie doch das am Schluss des Buches von Panek wiedergegebene Zitat des Grand Seigneur der ökologischen Forstkritik in Deutschland, des unvergessenen Horst Stern: „Wir sind als Art biologisch ein Teil der Natur, lebend an ihr Leben, leidend an ihr Leiden, sterbend an ihr Sterben gebunden.“

 

Und man möchte aus aktuellem Anlass aber ohne Zynismus fortfahren, dass diese bittere Lehre die Menschen in den Flutgebieten der Eifel, der Ahr, der Wupper und vieler anderer Flüsschen zurzeit unverschuldet erfahren müssen. Horst Stern, dem Panek dieses Buch gewidmet hat, war der politisch nicht gehörte wie gleichzeitig journalistisch brillante und verehrte Mahner vor über 50 Jahren. Als Forstmann, der sich ebenfalls seit nunmehr 50 Jahren in seinem beruflichen Leben stets für die Reform der Forstwirtschaft engagierte, sei dem Leser vom Autor dieser Rezension versichert:

 

Es gibt keine vergleichbar politisch dankbare, schneller wirksame und vor allem kostengünstigere Aktion, als beherzt sofort und auf ganzer Fläche den kahlschlagfreien Umbau der Fichten- und sonstigen Holzfabriken in Deutschland einzuleiten. Allen Unkenrufen aus der sich verweigernden Forstwirtschaft und -wissenschaft zum Trotz ist dieser waldbauliche Umbau in Deutschland bei politisch entschlossenem Vorgehen in nur rund 20 Jahren weitestgehend möglich, bezahlbar und mit einer verblüffenden ökologischen Verbesserung verbunden, ohne auf Holznutzung verzichten zu müssen.

 

Stralsund, den 26. Juli 2021

Wilhelm Bode

 

Norbert Panek: FICHTEN-LAND - wie Deutschland seine Wälder verlor

125 Seiten, Hardcover, gebunden und mit zahlreichen farbigen Abbildungen;

Verlag Natur+Text

ISBN 978-3-942062-53-4 Euro 19,90