RLP: Warum sollte ein Borkenkäfer "gnadenlos" sein?

Ahrtal: Flächenräumung Nadelholz mit Bodenverdichtung, wie sie aktuell in ganz Deutschland anzutreffen ist.
Ahrtal: Flächenräumung Nadelholz mit Bodenverdichtung, wie sie aktuell in ganz Deutschland anzutreffen ist.

 

Immer wieder fällt auf, wie sich Berichte in den Medien zum Waldsterben auf den "Schädling Borkenkäfer" konzentrieren - eine sehr simple Betrachtungsweise, die kaum dazu taugt, den Ausweg aus dem dramatischen Zustand der Wälder zu finden. So "multifunktional" wie der Wald von der Forstverwaltung beschrieben wird, so multifunktional müssen auch die Lösungsansätze für die künftige Waldbewirtschaftung und den Erhalt des Ökosystems Wald sein. Wie kann also ein kleines Insekt  Auslöser eines bundesweiten Waldsterbens sein, wenn sein Arbeitsfeld doch die nicht die Laubwälder, sondern vielmehr die standortfremden, künstlich angelegten Fichtenmonokulturen sind? Oder verbirgt sich hinter dem Aufhänger vieler Artikel in Regionalzeitungen eher ein Ablenkungsmanöver von tatsächlichen Versäumnissen in der "forstlichen Pflege" unserer Wälder?

 

In diesem Zusammenhang sei der hier verlinkte, höchst informative aktuelle Filmbeitrag "Wald oder Wüste: Was kommt nach dem Fichtensterben" (ARD die story vom 25.08.2021) empfohlen. Die Autoren sammeln für alle Waldinteressierten die aktuellen Argumentationen inhaltlich unterschiedlich orientierter Protagonisten und beleuchten die prekäre Gesamtlage des Waldes bzw. Forstes in Deutschland mit naturgemäß (noch) offenem Ergebnis.

 

Weiterhin empfehlen wir zum Thema den nachstehenden Kommentar inklusive Fachliteratur des Biologen und Totholzspezialisten Dr. Georg Möller angeregt durch zwei Veröffentlichungen in der Tageszeitung Die Rheinpfalz*:

 

Warum sollte ein Borkenkäfer "gnadenlos" sein?

 

Die Ausreden der Forstszene für gravierende Fehler damals und heute sind zuweilen dreist. Seit dem 18. Jahrhundert (!) sind die hohen Betriebsrisiken von Koniferenmonokulturen (Fichte, Kiefer) durch zu Massenvermehrungen fähige Insekten (wie zum Beispiel Buchdrucker, Kiefernprachtkäfer, Nonne, Foreule, Kiefernspinner, Blattwespen), Windwurf, Windbruch, Schnee- und Eisbruch, hausgemachten Trockenstress, Forstbrände bekannt. Gerade in Forstkreisen tobt die Debatte um den Koniferen-Tunnelblick seit rund 200 Jahren. Seit dem 19. Jahrhundert haben mitdenkende Försterinnen und Förster sowie externe Beobachterinnen und Beobachter erkannt, dass mit standortgemäßen, gemischten, ungleichaltrigen, naturnahen Wäldern auf der Basis von Naturverjüngung anstelle des risikobehafteten, pflanzaktiven Waldbaus die beste Betriebssicherheit bei zugleich hohen Erlösen (Wertholz) gewährleistet ist.

 

Wider besseren Wissens hat man über alle Waldbesitzformen hinweg fahrlässigerweise bzw. einseitig profitorientiert großflächig auf Kiefer und Fichte, in neuerer Zeit auch auf Douglasie und Küstentanne gesetzt. Die durch permanente Ausfälle bedingten Verluste im Bestand wurden vielfach auf die Steuerzahler abgewälzt.

 

 

Kahlfläche im Hochschwarzwald
Kahlfläche im Hochschwarzwald

 

Fichten, Kiefern und Douglasien sind im Vergleich zu den heimischen Laubgehölzen sehr ungünstig für den Wasserhaushalt. Ihr ganzjährig präsentes Nadelwerk sowie die Luftverwirbelungen fördernde Kronenrauigkeit der Kiefer bewirken eine hohe Sofortverdunstungsrate des auftreffenden Niederschlags. Künstlich begründete Fichtenbestände bewirken durch ihr flach streichendes Wurzelwerk zudem eine Verdichtung des Bodens, die die Wasserkapazität erheblich vermindert.

Zudem wird im Zusammenspiel mit der wenig saugfähigen, oft trockenen Nadelstreu der sofortige oberflächliche Abfluss größerer Teile des auftreffenden Niederschlags gefördert.

 Infolge dessen ist die Anfälligkeit für Trockenstress und Windwurf verstärkt.

 

Die Fichte ist bezüglich der Wasserversorgung anspruchsvoll: Sie benötigt mindestens 700 mm Niederschlag im Jahr, wovon die Hälfte auf die sommerliche Wachstumszeit entfallen muss. In Zeiten des Klimawandels ist das oft nicht mehr gewährleistet.

 

Den Redaktionen vieler Medien ist vorzuwerfen, dass sie in Bezug auf die Forstberichterstattung den offiziellen, verzerrten und oft schlicht falschen Darstellungen ohne neutrale, objektive Recherche folgen. Derweil bieten gerade die frei zugänglichen Internetauftritte zum Beispiel der LWF Bayern, der Züricher Forstwissenschaften und der Wiener BOKU reichlich Fortbildungsmöglichkeiten.

 

Ich persönlich befürworte die Abkehr von der Beförsterung des Waldes im klassischen Stil. Versetze ich mich in die Lage eines Forstamtes, würde ich mich am Naturwaldprinzip/integrativen Prozessschutz orientieren und mir pfiffige Unternehmer suchen, die sich mit Rückepferden, Seilzügen und anderen schonenden Rückemethoden auskennen; Ich würde die zu erntenden Bäume in Zusammenarbeit mit einer in Sachen Holzverwertung/Holzvermarktung kundigen Person mit meinem naturschutzfachlich-ökologischen Hintergrund auszeichnen: Ich bin überzeugt, dass dann die meisten Konflikte Naturschutz/FFH bei zugleich steigenden Netto-Erträgen, anwachsendem Wald-Kohlenstoffspeicher und stark verbesserter Klimaresilienz aus der Welt wären. So wie es das Forstamt Lübeck seit Jahren beispielhaft demonstriert.

 

Zur weiteren Information füge ich  drei Schriften an.

 

Dr. Georg Möller

 * "Der Borkenkäfer ist gnadenlos". Ausgabe Die Rheinpfalz, Pfälzische Volkszeitung - Nr. 180, Freitag, den 6. August 2021 sowie "Plantagen Wälder ohne Zukunft". Ausgabe Die Rheinpfalz Pirmasenser Rundschau - Nr. 180, Datum Freitag, den 6. August 2021, S. 1

 

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Artenschutzrelevante Totholzstrukturen
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