Baden-Württemberg: Hochschwarzwald - NSG Gletscherkessel beeinträchtigt durch Forstwirtschaft

 

Das Naturschutzgebiet „Gletscherkessel Präg“ ist das zweitgrößte Naturschutzgebiet in Baden-Württemberg und gleichzeitig FFH- und Vogelschutzgebiet. Es liegt im Südschwarzwald Nähe Feldberg und gehört zum Landkreis Lörrach. Anders als im Schwarzwald üblich dominiert hier nicht die Fichte. In diesem steilen, steinigen Gelände findet man vor allem Buchenmischwald. Bis vor wenigen Jahren war dies überwiegend gesunder Wald mit einem geschlossenen Kronendach und einer guten Altersstruktur. Gämsen und sogar der Luchs fanden hier optimale Bedingungen. Mit der Schönheit des Gebietes, der herausragenden Stellung als Kernzone des Naturschutzgroßprojektes „Feldberg – Belchen – Oberes Wiesental“ und dem Artenreichtum wird auch auf untenstehender Website geworben.

 

https://naturschutzgebiete.org/naturschutzgebiete-in-baden-wuerttemberg/naturschutzgebiet-gletscherkessel-praeg/

 

 

Das Naturschutzgebiet passt gut in das touristische Konzept des Hochschwarzwaldes: Die großen touristischen Attraktionen sucht man hier vergebens. Stattdessen gibt es Ruhe und eben NATUR. Entsprechend ist auch das Naturschutzgebiet „Gletscherkessel Präg“ durch Wanderwege erschlossen. Seit einigen Jahren aber verändert sich das Waldbild in diesem Mehrfachschutzgebiet auf drastische Weise.

 

Nach wie vor findet man dort intakten Wald vor. Diese Fläche wird aber jährlich kleiner. Stattdessen trifft man immer häufiger auf stark ausgelichteten Wald und kahlgeschlagene Flächen, die mehrere ha groß sind. Die größte unter diesen war einer der wenigen Bereiche, der von Fichten dominiert wurde. Hier gab es Windbruch, der aber in einem NSG zu stehendem Totholz führt, das man normalerweise willkommen heißt. Als man diesen Windwurf dennoch beseitigte, fällte man schlicht den ganzen Bestand. Der offensichtliche Grund hierfür: Forstarbeiten in diesem steilen Gelände sind schwierig und daher aufwändig. Es lohnte sich wohl einfach nicht, nur die umgedrückten Bäume zu entfernen. Zudem sah man sicher das Risiko, dass der Borkenkäfer in absehbarer Zeit auch diesen Bestand erfassen würde. Also wurde eben die ganze Fläche kahlgeschlagen.

 

Nach § 15 Landeswaldgesetz (LWaldG) Baden-Württemberg sind Kahlhiebe über 1 ha ohne Genehmigung der Oberen Forstbehörde nicht erlaubt. Nach § 15 Abs. 2 kann es sich weiterhin um einen Verstoß gegen das LWaldG (Bodenfruchtbarkeit, Wasserhaushalt, Schutzleistungen) handeln. Es kann  somit ein Verstoß sowohl nach dem vorliegenden Waldgesetz als auch nach Naturschutzrecht handeln. Die Frage bleibt, wer überprüft das? Zumeist kontrolliert sich die Forstwirtschaft selbst und reagiert auf Nachfragen der Bürger mit dem Verweis auf "gute fachliche Praxis" und "ordnungsgemäße Forstwirtschaft".

 

 

Im Rahmen der Forstarbeiten in diesem Schutzgebiet entstanden zahlreiche neue Rückewege. Berücksichtigt man den Wegebau neben den großflächigen Fällungen, so ist das Risiko von Hangrutschen und abfließende Wasserströmen bei Starkregen sicher deutlich gestiegen. Was dies in einem Naturschutzgebiet bedeutet -  in dem man als Wanderer aus Schutzgründen dazu verpflichtet ist, die Wege nicht zu verlassen - mag jeder selbst beurteilen.

 

 

 

Eine der wichtigsten Funktionen eines intakten Waldes ist die Wasserspeicherung und die Kühlung der Landschaft. Hinzu kommt der Humus als wichtiger CO2 Speicher, doch der Boden ist hier in Steillage stark bearbeitet und ungeschützt Sonne und Starkregen und damit der Erosion preisgegeben. Auch touristisch gesehen wiegt der Eingriff schwer: Wer ging nicht schon an einem heißen Tag in den Wald um der Hitze zu entfliehen? Diese Funktion wurde dem Wald in diesem Schutzgebiet großflächig genommen. Es wäre zu überprüfen, mit welchen Baumarten hier wieder aufgeforstet wurde (Bildreihe oben, l.u. durch Anklicken vergrößern) - so wie es aussieht wieder Nadelbäume in Reih und Glied?

 

 

Im NSG Gletscherkessel leben neben vielen anderen Arten auch Gämsen und der scheue Luchs. In dem schwierigen Gelände fanden sie bislang einen perfekten Lebensraum vor,  viel Deckung und durch das steile Gelände Schutz vor Störungen. Jetzt fehlt die Deckung großflächig und durch Rückewege wurden neue Gebiete für den Menschen erschlossen, wodurch die Störungen steigen werden. Der Lebensraum insbesondere des Luchses wurde massiv beschädigt.

 

Vor diesem Hintergrund heißt es in § 23 BNatSchG: „Naturschutzgebiete sind … Gebiete, in denen ein besonderer Schutz von Natur und Landschaft in ihrer Ganzheit oder in einzelnen Teilen erforderlich ist 1. zur Erhaltung, Entwicklung oder Wiederherstellung von Lebensstätten, Biotopen oder Lebensgemeinschaften bestimmter wild lebender Tier- und Pflanzenarten, … 3. wegen ihrer Seltenheit, besonderen Eigenart oder hervorragenden Schönheit. … Alle Handlungen, die zu einer Zerstörung, Beschädigung oder Veränderung des Naturschutzgebiets oder seiner Bestandteile oder zu einer nachhaltigen Störung führen können, sind nach Maßgabe näherer Bestimmungen verboten.“

 

Hier stellt sich ganz klar die Frage: Wurde oder wird hier Forstwirtschaft illegal betrieben?  Oder ist die Legalität von Forstwirtschaft in Naturschutzgebieten an sich schon höchst zweifelhaft und ein Schlupfloch für rein holzwirtschaftliche Interessen? Und wenn schon "pflegende Bewirtschaftung", müsste diese gerade hier nicht völlig anders aussehen und beispielsweise auf Schwermaschineneinsatz zugunsten einer unter Schutz stehenden Naturfläche ganz verzichten? Angeblich soll in solchen Gebieten ja der gewinnoptimierte Holzeinschlag keine Rolle spielen - oder doch? Dann wären Schutzgebiete per se ad absurdum geführt. Die Fällung von Höhlenbäumen (siehe Foto unten) stellt für die Forstwirtschaft offensichtlich tolerierte "Normalität" da.

 

 

In diesem Naturschutzgebiet jedenfalls wurde und wird großflächig Flora und Fauna zerstört bzw. massiv beeinträchtigt. In Zeiten von Waldsterben, Artenschwund und Klimawandelfolgen muss hier endlich selbstkritisches Umdenken in der Forstwirtschaft bzw. Kontrolle von außen erfolgen. An solchen Beispielen zeigt sich in drastischer Weise, dass nach wie vor die Naturschutz- und FFH Gebiete nicht ihrem Schutzzweck entsprechend "gepflegt", sondern im Sinne forstwirtschaftlicher Ertragslehre genutzt werden.