RLP: Verstöße gegen Naturschutzrecht im Forstamt Pfälzer Rheinauen?

Rheinaue überflutet
Rheinaue überflutet

Trotz Klimawandel und Waldsterben wird die Umsetzung der Natura 2000 Bewirtschaftungspläne im Wald offenbar von einigen Forstbehörden nicht wirklich ernst genommen. Etwa in den ökologisch enorm wichtigen Wäldern der Rheinauen. Hier versteht man unter dem vorgeschriebenen Schutz der wenigen verbliebenen Auwaldbereiche ganz konkret ihre Erhaltung und bei bereits vorhandenen Schäden die Wiederherstellung ihrer ökologischen Einzigartigkeit. Zentrale Naturelemente in der so genannten Hartholzaue sind hier die Leitbaumart Stieleiche mit ihrer typischen Begleitvegetation. 

 

Auwälder wie die Rheinauen bergen durch den stetigen Wechsel der Wasserstände und des fruchtbaren Bodens viele ökologische Nischen auf engstem Raum. Sie sind Hotspots der Biodiversität und der oftmals letzte Rückzugsraum für bedrohte Arten.  Forstämter tragen deshalb eine besondere Verantwortung für diese Wälder, die sie kraft Gesetz pflegen und erhalten sollen. Und gerade dieser Verantwortung müssen sie in Zeiten des Klimawandels mit Feingefühl und hohem ökologischen Wissen gerecht werden, wohingegen die Interessen an Holzernte in diesem sensiblen und selten gewordenen Waldttyp eigentlich gar keine Rolle mehr spielen darf.

 

Alter Baumriese in den Rheinauen
Alter Baumriese in den Rheinauen

 

Aus diesem Grund hat die Bürgerinitiative "Waldwende Jetzt" über einen längeren Zeitraum mehrere von ihnen beklagte grundlegende Verstöße gegen den Schutzzweck in den Rheinauen dokumentiert und zeitgleich Strafanzeige  gem. § 329 StGB (Gefährdung schutzbedürftiger Gebiete) bei der Polizei sowie der SDG Süd, Obere Naturschutzbehörde, erstattet.

 

Die Verstöße im Gemeindewald Waldsee beziehen sich nach Angaben der Initiative teilweise auf vergangene sogenannte „Waldumbaumaßnahmen“, teilweise auf geplante Hiebsmaßnahmen des Jahres 2023. Derzeit laufen im benachbarten Gemeindewald Otterstadt auf 25 Hektar Hiebsmaßnahmen, die den bisherigen Charakter der Auen weiter verfälschen, zu massiven Bodenzerstörungen führen, die weitere Austrocknung der Auen fördern und geschützte Arten und deren Lebensräume zerstören. Bis zu einer endgültigen Bewertung der forstlichen Eingriffe fordert die Bürgerinitiative mit Unterstützung von Fachleuten eine unmittelbare Einstellung aller forstlichen Maßnahmen im Bereich der Vorderpfälzischen Rheinebene. Zudem sollen die dokumentierten Abweichungen im Bereich des Forstrevieres als Ordnungswidrigkeit bzw. als Straftatbestand verfolgt werden, um wiederholte  Verstöße gegen  Naturschutznormen endlich zu ahnden und abzustellen.

 

Gerne werden solche Verfehlungen in der Waldwirtschaft wie "Kavaliersdelikte" behandelt. Das sind sie aber schon deshalb nicht, weil die Europäische Kommission bereits 2021 Klage gegen Deutschland wegen der Verletzung von EU-Umweltrecht vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) eingereicht hat. Die spätestens seit 2010 umzusetzenden Maßnahmen im Rahmen der Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie (FFH) zur Erhaltung der natürlichen Lebensräume sowie der wildlebenden Tiere und Pflanzen hat Deutschland noch immer nicht erfüllt.

 

Was aber genau - entgegen einiger lapidarer Zeitungsmeldungen - in den Rheinauen Anlass für die sich häufenden Beschwerden und schließlich Strafanzeige der Waldschutzinitiative "Waldwende Jetzt" gegen das Forstamt Rheinauen gegeben hat, zeigt nachfolgende Aufstellung der Initiative.

 

1. Im Stadtwald Speyer hatte das Forstamt Pfälzer Rheinauen eine Hiebsmaßnahme im Lebensraumtyp Eichen-Hainbuchenwald per Harvestereinsatz mit ursprünglich 600 Festmetern geplant.

Nach massiven Widerspruch im Umweltausschuss hatte die Stadt die Hiebsmenge auf 300 Festmeter korrigiert und einen Ortstermin mit dem Forstamt angesetzt. Bei diesem wurde festgestellt, dass zahlreiche Eichen einen Besatz mit Heldbock aufweisen. Nach der Ankündigung einer Strafanzeige gegen die Verantwortlichen wurde die Planung zurückgezogen.

 

Illustration in Reitter (1912)

 

Der Heldbock (Cerambyx cerdo) wird auch Großer Eichenbock genannt und gehört zu den größten Käfern Mitteleuropas. Vorwiegend besiedelt er mächtige Eichen in sonniger Lage. Diese Altbäume finden sich häufig in Hartholzauen. Bei günstigen Bedingungen nutzt der Heldbock  „seinen“ Brutbaum über mehrere Generationen hinweg, so dass er hauptsächlich durch dessen Beseitigung gefährdet wird.

 

Der Heldbock ist eine streng geschützte und europarechtlich geschützte Art. Auf der Roten Liste Deutschlands wird er als Kategorie 1 (vom Aussterben bedroht) geführt.

 

2. Im Gemeindewald Hördt wurde im Oktober 2022 eine Hiebsmaßnahme im FFH Gebiet durchgeführt. Örtliche Naturschützer beklagten, dass der Lebensraumtyp und streng geschützte Arten zerstört würden. Nach einem Ortstermin im Dezember wurde bei der Polizeiinspektion Germersheim Strafanzeige gegen das Forstamt Pfälzer Rheinauen wegen Verstoß gegen § 329 StGB (Gefährdung schutzbedürftiger Gebiete) gestellt. Die Polizei hat diese Anzeige aufgenommen und einem Fachdezernat für Umweltkriminalität bei der PD Landau weitergeleitet. Bei der Ortsbegehung wurden in gefällten Bäumen Larvengänge des Heldbocks, Fledermausquartiere mit frischem Kot und Spechthöhlen mit mehreren Federn gefunden. Sämtliche Habitatbäume (Bäume, die von geschützten Tierarten bewohnt werden)  wurden systematisch aus dem Waldbestand entnommen und zu Brennholz aufgearbeitet.

 

 

 

 

Larvengänge des Heldbock (Cerambyx cerdo) im eingeschlagenen Eichenholz im Gemeindewald Hördt.

Um FFH Gebiete zu pflegen, muss der zuständige Förster ein ausgeprägtes Wissen um ökologische Vorgänge in der Aue und um die besonders gefährdeten Tier- und Pflanzenarten aufweisen. Nur so kann er gewährleisten, dass dem Schutzzweck entsprochen wird.  Angeblich wird das durch die Ausbildung garantiert.

 

 

 

3. Im Gemeindewald Waldsee wurden abgeschlossene und vorbereitete Hiebsmaßnahmen begutachtet. Dabei wurden im FFH-Gebiet mehrere Kahlschläge im Bereich der Hartholzaue bis zu 1,5 Hektar Flächengröße festgestellt. Das Schutzziel gemäß Bewirtschaftungsplan wurde mehrfach missachtet. So wurden in den von Biomasse völlig geräumten, vollständig befahrenen Forstkulturen unter anderem die Amerikanische Schwarznuss und der Kaukasische Baumhasel gepflanzt. Eine weitere, bereits angezeichnete Hiebsfläche sieht die Entnahme kerngesunder Eschen und der letzten starken Flatterulme im Forstrevier vor. Der geplante Eingriff reduziert den Holzvorrat um über die Hälfte und führt zu einer weiteren massiven Auflichtung und damit Erhitzung des Waldinnenklimas.

 

 

 

Anzeichnung einer Heldbockeiche im Gemeindewald Waldsee zum Zweck der Fällung. Hier wird deutlich, dass ökologisches Wissen durch den Bewirtschafter nicht ausreichend vorhanden ist, denn die großen Bohrlöcher des Heldbocks sind typisch und nicht zu übersehen. Von daher stellt sich die Frage, ob die Pflege von FFH Gebieten und Rote Liste Arten durch Forstämter überhaupt gewährleistet werden kann. 

 

4. Im Gemeindewald Otterstadt wurde eine Hiebsmaßnahme auf 25 Hektar Fläche begonnen, die als sogenannter "Sanierungshieb" zur Entfernung abgestorbener Eschen und Bergahorne deklariert ist. Bei einer Ortsbeghung wurde festgestellt, dass aber vor allem gesunde Eschen geschlagen werden sollen. In Forstkulturen der vergangenen Jahre wurden im Widerspruch zu den Entwicklungszielen die Baumarten Schwarznuss, Hybridpappel und Baumhasel gepflanzt. Der Lebensraumtyp Eichen-Hartholzaue wird durch die Entnahme der letzten Starkeichen und eine massive Befahrung der empfindlichen Hochflutlehme endgültig zerstört. Auf den derart behandelten Flächen mit Großkahlschlägen bis zu 2 Hektar breiteten sich überwiegend invasive Neophyten, insbesondere die Goldrute aus.

 

Von Biomasse völlig geräumte Flächen werden mit ausgedehnten Forstkulturen, unter anderem mit  Amerikanischer Schwarznuss und der Kaukasischen Baumhasel,  bepflanzt. Diese Baumarten haben mit der typischen Hartholzaue unserer Breiten nichts mehr zu tun.

Zudem wird auf solchen Flächen die Ausbreitung der Goldrute gefördert, die einen erheblichen und teuren Pflegeaufwand erfordert, wenn die Aufforstung dieser vermeintlich klimastabilen neuen "Brotbaumarten" gelingen soll. Hier gestaltet nicht die Natur, sondern der Mensch nach zweifelhaften Maßstäben, statt sensible Waldflächen zu schützen und natürlicher Entwicklung zu überlassen.

 

Aktuell sind ebenfalls bei Otterstadt wie oben erwähnt weitere Fällmaßnahmen auf einer Fläche von 25 Hektar im Gange. Die markierten Bäume waren entgegen der Berichterstattung der Rheinpfalz nur teilweise abgestorben. Insbesondere bei der Baumart Esche wurden kerngesunde Bäume markiert und zur Fällung vorgesehen.

 

Die Holzeinschläge laufen nach dem bisherigen Schema ab, indem eine Auflichtung der Bestände herbeigeführt wird, die zu einer völligen Veränderung der Standorte in diesem sensiblen Waldökosystem führt und das Entwicklungsziel des Lebensraumtyps Auenwald konterkariert. Gerade eine  Hiebsmaßnahme mit dem Charakter eines Kahlschlags ist im Auenwald (FFH Gebiet) ein höchst zweifelhafter Vorgang, der wohl kaum mit dem Schutzzweck in Einklang zu bringen ist.

 

 

 

Gefällte Alteiche im Gemeindewald Otterstadt.

 

Die zunehmende Auflichtung von Wäldern kann in Zeiten gehäuft auftretender Hitze- und Dürreperioden nicht mehr mit dem Wunsch nach Lichteinfall für eine "Naturverjüngung" begründet werden. Vorrangig ist es, Wasser im Wald zu halten und der Austrocknung der Waldböden entgegen zu wirken.

 

Im Falle der Gemeindewälder Otterstadt und Waldsee sollen weitere Strafanzeigen erfolgen. Zudem sollen die Naturschutzbehörden in die Pflicht genommen werden. Wegen der bisherigen Untätigkeit der Behörden sind Dienstaufsichtsbeschwerden geplant um die politisch Verantwortlichen mit einer entsprechenden Öffentlichkeitsarbeit in die Pflicht zu nehmen. Derzeit werden die Maßnahmen dokumentiert und an die fachlich zuständigen Behörden weitergeleitet. Bereits in den vergangenen zwei Jahren wurde  auf naturschutzfachliche Verstöße aufmerksam gemacht, ohne dass grundlegende Änderungenn im Umgang mit dem Wald erfolgt sind.

 

Was von jedem Waldspaziergänger an Rücksichtnahme und Einsicht in Naturvorgänge erwartet wird, sollte für einen staatlichen Forstbetrieb strenge Regel sein.

 

BI "Waldwende Jetzt", Mitglied der BBIWS

 

Kontakt zur Bürgerinitiative "Waldwende Jetzt" und weitere Informationen unter: https://www.waldwende-jetzt.de/

 

 

 

02.08.2023

Zum aktuellen Stand des Verfahrens liegen der Bürgerinitiative "Waldwende Jetzt" keine neuen Informationen vor.

 

Näheres zum Wissenshintergrund der Beschwerdeführer liefert folgender Bericht:

 

Speyer: Vom leitenden Forstdirektor zum "Forstrebell" - Kampf für die "Waldwende" - Volker Ziesling im Portrait

https://speyer-info.de/28-aufmacher/5313-speyer-vom-leitenden-forstdirektor-zum-forstrebell-kampf-fuer-die-waldwende-volker-ziesling-im-portrait.html