Die “Gute fachliche Praxis” der Forstwirtschaft im neuen Bundeswaldgesetz?

Reihe: Schwerpunktthemen zum Neuen Bundeswaldgesetz, Teil 2

 

von Jürgen Kruse, BBIWS NRW

 

Wer den regelmäßig erstellten Waldzustandsbericht kritisch hinterfragt erkennt sehr schnell, dass die darin beschriebene Verschlechterung des Waldzustands nur geringfügig vom derzeit viel diskutierten Klimawandel verursacht wird. Es gibt genügend Beispiele die belegen, dass die Anwendung und Auslegung der bisherigen “Guten fachlichen Praxis” der Forst- bzw. Holzwirtschaft dazu einen erheblichen Beitrag leisten. Aufgrund der Tatsache, dass das seit 1975 bestehende Bundeswaldgesetz aktuell auf der politischen Agenda zur Überarbeitung ansteht, ist es zwingend erforderlich, die “Gute fachliche Praxis” neu zu definieren und dabei die folgenden wichtigen Kriterien als Messlatte zur Bewertung und Neufassung heranzuziehen:

 

1) die ökologischen Funktionen des Waldes, insbesondere seine Bedeutung für die Biodiversität, Artenvielfalt und den Bodenschutz.

 

2) seine Anpassungsfähigkeit (Resilienz) an Veränderungen des Klimas und seine Funktion als Kohlenstoffspeicher, der Erhalt aller Funktionen zur Luftreinhaltung sowie der Erhalt aller Funktionen als natürliche Klimaanlage (Kühlung);

 

3) der Erhalt all seiner positiven Auswirkungen auf den Wasserhaushalt (Grundwasserneubildung, Trinkwasserversorgung, Hochwasserschutz, Verdunstung und Regen etc.);

 

4) seine Bedeutung für das Landschaftsbild sowie den landesweiten Biotopverbund;

 

5) seine Bedeutung für das Mensch-Natur-Verhältnis, insbesondere für die Erholung und Gesundheit der Bevölkerung;

 

6) seine umweltgerechte (nachhaltige) Nutzung im Sinne dieses Gesetzes

 

7) die Berücksichtigung der regionalen potentiellen natürlichen Vegetation (PNV) der Wälder, etwa im Tiefland der Buchenwälder, die durch Brotbaumpflanzungen zu reinen Waldackerflächen degradiert wurden.

 

Eine Bewertung all dieser wichtigen Kriterien erfolgt zum besseren Verständnis direkt anhand eines praxisnahen Beispiels und der dabei bisher ausgeübten “guten fachlichen Praxis” der Forstwirtschaft.

 

Als konkretes Beispiel wird dazu die jederzeit belegbare und damit nachvollziehbare zeitliche Entwicklung eines Buchen-Eichen-Mischwaldes im Münsterland herangezogen.

 

 

 

Foto 1: Eingang zu einem schönen Buchen- Eichen Mischwald im Münsterland -Legden-Asbeck - mit gesundem Baumbestand in allen Altersstufen

 

Waldsterben nur durch “Klimawandel” und “Schädlinge”? Wohl kaum. Schon seit vielen Jahrzehnten wird die forstwirtschaftliche Waldbehandlung als Hauptursache für Baum- und Waldschäden diskutiert und alle ernst zu nehmenden Studien der letzten Jahre bestätigen, dass gerade noch einigermaßen erhaltene Waldökosysteme mit vielen älteren Bäumen und Totholz glimpflich über die Trockenjahre gekommen sind. So auch an diesem Beispiel gut nachvollziehbar. Hier wurde ein gesunder Buchen-Eichen Mischwald in den folgenden Jahren durch übermäßige Holzeinschläge “aufgelichtet”. Durch diese forstwirtschaftlichen Maßnahmen wurden die für einen Buchenwald so lebensnotwendigen Grundlagen zerstört. 1)

 

 

Foto 2: Der Zustand des Waldes nach dem forstwirtschaftlichen Eingriff

 

Fast alle schützenswerten Altbuchen sind verschwunden, das “Kronendach” des Waldes ist nach dem forstwirtschaftlichen Eingriff auf großer Fläche nicht mehr vorhanden, der Boden wurde großflächig befahren und durch schwere Erntefahrzeuge verdichtet. Die Zerstörung dieses vormals völlig intakten Waldökosystems erfolgte ausschließlich mit dem Ziel, Holz für den Export nach China zu ernten.

 

Im Hintergrund ist das nahegelegene Dorf zu erkennen - dahingehend sind auch der Verlust an Naherholungsfläche sowie die Störung des landesweiten Biotopverbundes und des Landschaftsbildes zu berücksichtigen.

Durch den Landesbetrieb “Wald und Holz NRW” wurde diese forstwirtschaftliche Vorgehensweise im Privatwald unterstützt und als “Gute fachliche Praxis” etikettiert. Hier lässt sich unschwer erkennen, dass dieser Wald all seine positiven Auswirkungen auf den Wasserhaushalt (Grundwasserneubildung, Trinkwasserversorgung, Hochwasserschutz, Verdunstung und Regen etc.) überhaupt nicht mehr leisten kann.  https://www.youtube.com/watch?v=iEbagOJcxvE

 

Die deutliche Verdichtung des Bodens durch die Erntefahrzeuge verhindert eine waldtypische Vegetationsbildung. Das feuchte Waldinnenklima ist zerstört.

 

 

Foto 3: Die ökologischen Funktionen des Waldes, insbesondere für die Biodiversität im Buchenwald, sind durch die Entnahme der alten Buchen weitgehend verloren

 

Gerade diese alten Buchen sind aufgrund der Höhlenbildung ab ca. 120 Jahren unabdingbar für die Entwicklung vieler tausend Insekten- und Pilzarten sowie als Brutstätten für die Vögel und wichtige Refugien für Fledermausarten. Es verbleiben nur die Jungbäume mit höchstens ca. 80 Jahren.

 

Gleichermaßen verliert dieser Wald seine Funktion als Kohlenstoffspeicher und damit zur Luftreinhaltung sowie den Erhalt aller Funktionen als natürliche Klimaanlage (Kühlung).

 

Altbäume schützen im Verbund mit allen anderen Baumaltersklassen (Mosaikprinzip) den Wald vor Sturmschäden, Schneebruch und jahreszeitlichen Witterungseinflüssen. Ziele der “guten fachlichen Praxis” im Rahmen des neuen Bundeswaldgesetzes müssen deshalb die kühlen, dunklen, altersgemischten und standortheimischen Laub-Mischwälder mit geschlossenem Kronendach, wachsendem Holzvorrat und vielen älteren und alten Habitatbäumen sowie viel Totholz (stehend und liegend) sein. Nur so ist Biodiversitätszuwachs, Boden- und Wasser- bzw. Hochwasserschutz möglich. Die Zielvorräte an Holz pro Hektar sollen sich je nach Standort an den Vorräten natürlicher Wälder orientieren (Empfehlung 500-550 Vorratsfestmeter pro Hektar).

 

Von daher ist es zwingend erforderlich im neuen Bundeswaldgesetz einen Paradigmenwechsel zu erarbeiten. Die bisher angewendete “Gute fachliche Praxis” basiert auf völlig überholten Bundes- und Landeswaldgesetzen in Deutschland und muss angesichts der voranschreitenden Klimaveränderung und der ebenso bedrohlichen Biodiversitätsverluste (“Artensterben”) grundlegend reformiert werden. Ansonsten werden wir den Wald als Verbündeten beim Klima- und Artenschutz für Jahrzehnte verlieren. Dabei ist eine klare Neu-Definition einer “guten fachlichen Praxis” für den Wald wesentlich und sollte sich an folgenden Punkten orientieren:

  • den Erkenntnissen zum Ökosystem Wald
  • den Erfahrungen mit der naturnahen Waldbewirtschaftung
  • den Ökosystemleistungen intakter Wälder hinsichtlich Klimaschutz und Biodiversität

Dr. Lutz Fähser, Dipl.-Forstwirt und Leitender Forstdirektor i. R., ist einer der Wegbereiter einer neuen Sicht auf den Wald und Mitbegründer des “Lübecker Modells”, in dem bereits wertvolle Erfahrungen mit einer erfolgreich ökologisch ausgerichteten Waldbewirtschaftung dokumentiert werden konnten.

Er listet die “10 Sünden försterlicher Waldbehandung” auf:

 

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Die 10 Sünden försterlicher Waldbehandlung 2019
Die 10 Sünden försterlicher Waldbehandlu
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Foto 4: Kirchenwald in Nottuln zur Ausplünderung freigegeben!

 

Wie überall im Land NRW gab der Landesbetrieb “Wald und Holz NRW” den fachlichen “Segen” für eine große Holzernte. Mindestens 160 große Buchen und Eichen wurden im Wald der katholischen Kirchengemeinde Nottuln/Bistum Münster gefällt unter dem Vorwand, einen klimastabilen Wald u.a. durch Neuanpflanzungen schaffen zu wollen. Aufgelichtet und zerstört wurde ein kleiner Buchen-Mischwald am Hang in einem Wassergewinnungsgebiet und Naturschutzgebiet “Nonnenbachtal” in der Gemeinde Nottuln/Kreis Coesfeld, und das bei dem Schutzzweck: “Erhaltung und Entwicklung des Waldmeister-Buchenwaldkomplexes durch naturnahe Waldbewirtschaftung”! 2)

 

Das Bistum Münster und die verantwortliche Kirchengemeinde wurden leider erfolglos vor dem Hintergrund der Umweltenzyklika "Laudato si'" von Papst Franziskus an die Schöpfungsverantwortung für den eigenen Grundbesitz erinnert. Papst Franziskus wird in seinem neuen Schreiben dazu ("Lobt Gott") noch deutlicher: Alle seien aufgefordert, gemeinsam und engagiert die Gesetze der Natur respektierend u.a. durch "umfassende Veränderung des unverantwortlichen Lebensstils" z.B. die weitere "Desertifikation des Bodens" sowie Naturausbeutung und "Nutzung (…) unbegrenzter Ambitionen" zu stoppen.

 

Altes Buchenwurzelwerk, wie es in unseren Wirtschaftswäldern selten geworden ist
Altes Buchenwurzelwerk, wie es in unseren Wirtschaftswäldern selten geworden ist

 

Fazit zur "Guten fachlichen Praxis"

 

An den gezeigten Beispielen wird einmal mehr deutlich, dass ein ursprünglich gesundes und völlig intaktes Waldökosystem innerhalb von nur kurzer Zeit durch die im Rahmen der Forstwirtschaft intensive Anwendung der “Guten fachlichen Praxis” aller bisherigen ökologischen Systemleistungen beraubt wurde. Dabei ist hervorzuheben, dass es sich bei Klimaänderungen in der Regel um langzeitliche Ereignisse handelt. Der demnach kurzfristig für “erforderlich” gehaltene Umbau eines gesunden Buchen-Eichen-Mischwaldes im Münsterland ist deshalb nicht nachzuvollziehen. Die wahre Begründung für diesen “Waldumbau” liegt wohl vielmehr  im enormen Bedarf an Holz, beispielsweise für den Export oder die Umrüstung vorhandener Kohlekraftwerke auf die großtechnische und umweltschädliche Holzverbrennung. Eine echte “Kaskadennutzung”, die den Frischholzverbrauch allgemein massiv reduzieren würde, ist darüber hinaus bislang nicht umgesetzt.

 

Und es bleibt eine grundsätzliche Frage, zumal für den Baumbestand von Bund, Land und Kommune: Warum müssen Wälder überhaupt “wirtschaftlich” sein? Sie sind elementarer Bestandteil unserer Daseinsvorsorge. Selbst das Bundesverfassungsgericht hat bereits 1990 darauf hingewiesen und wir zitieren es einmal mehr:

 

„Die Forstpolitik der Bundesregierung ist weniger auf Marktpflege ausgerichtet; sie dient vor allem der Erhaltung des Waldes als ökologischen Ausgleichsraum für Klima, Luft und Wasser, für die Tier- und Pflanzenwelt sowie für die Erholung der Bevölkerung. Neben den wirtschaftlichen Nutzen des Waldes tritt gleichrangig seine Bedeutung für die Umwelt (vgl. §§ 1.6 des BGBl. S. 1037). Die Bewirtschaftung des Körperschafts- und Staatswaldes, der 58 % der Waldfläche in der Bundesrepublik ausmacht, dient der Umwelt- und Erholungsfunktion des Waldes, nicht der Sicherung von Absatz und Verwertung forstwirtschaftlicher Erzeugnisse. Die staatliche Forstpolitik fördert im Gegensatz zur Landwirtschaftspolitik weniger die Betriebe und die Absetzbarkeit ihrer Produkte als vielmehr die Leistungsfähigkeit des Naturhaushaltes.“ (Bundesverfassungsgericht vom 31.05.1990 in einer Urteilsbegründung 2 BvR 1436/87 S. 39)

 

Auf der Grundlage der Ziele zur Erhaltung und natürlichen Weiterentwicklung des Waldes (siehe auch einleitende Punkte 1-7), muss auch die zukünftige Anwendung der “Guten fachlichen Praxis” völlig neu definiert und bei der Umsetzung in die Forstpraxis berücksichtigt werden. Im neuen Bundeswaldgesetz müssen die ökologischen Belange des Waldes Vorrang vor der forstwirtschaftlichen Nutzung erhalten.

 

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Positionspapier zur Reform des Bundeswaldgesetzes (BWaldG)
DNRT_Positionspapier_-Reform_Bundes_Wald
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63. Waldbrief zum neuen Bundeswaldgesetz (BWaldG)
63. Waldbrief 27.08.2022 - LF RP Grundsa
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4) Die Wälder sind unsere "Kühl- und Wassermaschinen" Stefan Schwarzer zur "Aufbauenden Landwirtschaft": Wasser pflanzen. Mit Vegetation das Klima kühlen - Mit (mehr) Vegetation und (fruchtbaren) Böden die kleinen Wasserkreisläufe stärken und das Klima kühlen --

 https://www.youtube.com/watch?v=iEbagOJcxvE

 

5) Karl Friedrich Weber, 63. Waldbrief vom 27.08.2022 (siehe pdf Download oben).

https://www.bund-northeim.de/fileadmin/northeim/Julia 63_Waldbrief_27-08-2022_LF_RP_Grundsatzanw_fuer_Stoerungen_in_Waeldern.pdf

 

6) Bericht über den Nottuln Skandal auf “Waldreport”:

https://waldreport.de/waldschadensmeldung/faellung-schutzgebieten/faellung-von-160-buchen-und-eichen-auf-wald